Wir machen eine Pause und lesen Lyrik
Das Schönste an Weihnachten sind der erste und zweite Tag, wenn meine Kinder ihre LEGO-Geschenke zusammenbauen und ich Zeit zum Lesen und Lernen habe. Seit gestern springe ich von einem elektronischen Gerät zum anderen und sauge die Vorträge wie ein Schwamm ein.
Beide, ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) und ASRM (American Society for Reproductive Medicine), haben tonnenweise neue Inhalte ins Netz gestellt.
Ich blättere durch die vielen Dateien und konzentriere mich auf die Fakten. Die Zeiten, in denen ich die ganzen Vorträge von Anfang bis Ende, und oft auch direkt im Konferenzsaal, anhören durfte, sind vorbei. Jetzt bestimmen LEGO Ninjago, Zeitklingen und Meister von Spinjitzu meine Lerngeschwindigkeit.
So wird es auch bei Ihnen bald sein, aber die gute Nachricht ist: das klappt schon. Internet macht heutzutage wirklich die verrücktesten Dinge möglich.
Bei allen Dateien, auf denen die Teammitglieder gelistet werden, schaue ich automatisch nach Namen aus Deutschland. Es gibt aber nichts zu entdecken – Deutschland hat sich von der Stammzellenforschung vor über 15 Jahren verabschiedet und anderen Ländern das Sagen überlassen.
Bei einem Namen denke ich, hey, ist das nicht Magdalena?
Arbeitet sie jetzt in England?
Später beim Abendessen erinnere ich mich an den tiefen, schlecht riechenden Keller ohne Tageslicht in einem Forschungsinstitut in der Nähe von München, bei dem ich einmal als Gastwissenschaftlerin zu Besuch war, bei dem Magdalena G. mit ihrer ersten Arbeitsgruppe Embryonen von Mäusen untersuchte.
Vielleicht schaffe ich es, im Laufe des Jahres 2019 Magdalena einmal anzuschreiben und sie für ein Interview zu gewinnen. Jetzt hat sie bestimmt viele interessante Geschichten zu erzählen – darüber, was das Embryonenschutzgesetz in der Forschungslandschaft in Deutschland angerichtet hat und was noch alles in der Zukunft zu erwarten ist.
Aber heute ist erstmal Feiertag und es gibt keine komplizierten Texte und schon gar keine traurigen Themen!
Heute gibt es fünf Gedichte von Frauen über Frauen, über Kinderwunsch und ja, sogar über Kindererziehung!
Gedichte – Frauenpower pur
Dieses wunderschöne Lied hat letztes Jahr seinen 70. Geburtstag gefeiert. Viele Millionen Klicks auf YouTube zeigen, dass es die neuen Generationen genauso beeindruckt und nicht so schnell vergessen wird. Die Autorin Bettina Wegner sagt zu ihrem Lied bescheiden: Das ist ein Lied für meine Kinder, für alle Kinder, und erst recht für Erwachsene.
Von Bettina Wegner
Sind so kleine Hände
Sind so kleine Hände,
winz’ge Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen,
die zerbrechen dann.
Sind so kleine Füße
mit so kleinen Zeh’n,
darf man nie drauf treten,
könn‘ sie sonst nicht geh’n.
Sind so kleine Ohren;
scharf und ihr erlaubt.
Darf man nie zerbrüllen,
werden davon taub.
Sind so schöne Münder,
sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten,
kommt sonst nichts mehr raus.
Sind so klare Augen,
die noch alles sehen.
Darf man nie verbinden,
könn‘ sie nicht verstehen.
Sind so kleine Seelen,
offen und ganz frei.
Darf man niemals quälen,
geh’n kaputt dabei.
Ist so’n kleines Rückgrat,
sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen,
weil es sonst zerbricht.
Grade klare Menschen
wär’n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat
hab’n wir schon zuviel.
Monika Minder
Mehr Zeit für Träume
Ich weiß, es gibt sehr schlimme Tage,
an diesen stellt das Leben seine Fragen.
Sie möchten dir vor allem eines sagen:
Nimm dir mehr Zeit für dich und deine Träume,
für Wünsche und für Lebensräume.
M.B. Hermann
Ich lebe, liebe, lache
Ich lebe, liebe, lache, weil ich etwas schaffe.
Ich lebe, liebe, lache, weil ich mich nicht klein machen lasse.
Ich lebe, liebe, lache, damit ich nicht neide und hasse.
Ich erschaffe mir mein Leben und liebe die Liebe, ich freue mich an den kleinen Dinge und lache mit Freunden in geselliger Runde, ich lerne täglich und genieße möglichst, ich lass mal fünfe grade sein und bin dann wieder voll dabei.
Ich lebe, liebe und lache und lasse mich nicht von dir zum Affen machen.
Jetzt ein Gedicht aus dem Jahr 1624! Ewig schön und zutreffend; mich wundert es nicht, das es Jahrhunderte überlebt hat.
Angelus Silesius · 1624-1677
Zufall und Wesen
Mensch, werde wesentlich: denn wann die Welt vergeht,
So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.
Irini Athanassakis ist eine Autorin, die in Paris lebt und arbeitet. Ihr Gedichtband “Prinzenrolle” spricht von Frauen in verschiedenen Lebenslagen; manche träumen noch von ihrem Prinzen, andere haben ihren schon längst gefunden. Das letzte Gedicht (“D”) ist mir gewidmet; danke, Irini!
Irini Athanassakis
A
Das perfekte Lächeln
und die perfekte Figur
und die beste Praxis
der Stadt
die schwarzhaarige Frau
aus dem Orient
scheint immer
alles zu erreichen
wie sind ihre Blutwerte?
macht nichts
wir machen das schon
Blut abnehmen
Medikamente nehmen
spritzen
Blut abnehmen
Vollnarkose
es sieht nicht so übel aus
Medikamente nehmen
spritzen
Vollnarkose
wiederkommen
ein wenig Shiatsu vielleicht?
Medikamente nehmen
spritzen
Vollnarkose
wiederkommen
sehen Sie
ziehen Sie her!
hier sind sie
die beiden Eizellen
sie leuchten rot
es ist wahr
es wird wahr
ein Mädchen wird wahr
danke
B
Sie ist schnell
und liebt alles Schöne
und Berlin, die graue Stadt
sieht genau hin,
hilft, wo es geht
Das Leben schenkte ihr
einen schönen Mann,
der alles über Sterne weiß
und über ferne Galaxien
und der Geschichten schreibt
nur für Sie
Und eine schöne Tochter
die einmal im Jahr als Engel
vor die Linse springt
D
Eine Spitzenforscherin,
Model,
voller Witz.
Eine Frau aus dem Osten
(wild sind sie ja schon, in Belgrad,
sagt der Mann)
verliebt sich in den Westen.
Und der Westen?
Alles an der Nagel hängen,
das Labor endlich vergessen.
Mit dem kleinen im Hof spielen.
Zum Gleisdreieck gehen.
Ins Elterncafe.
Die Müdigkeit vergessen.
Nur Bio Fleisch und Gemüse essen,
Und Tee trinken.
Stillen, bis es wirklich nicht mehr geht.
Nachts schreiben.
Für alle Frauen, sie sollten es wissen:
Wie alt sind sie?
Schon zu alt?
Wie sieht es mit der Qualität Ihrer Eizellen aus?
Wie sieht es mit Ihren Nerven aus?
Wie wäre es mit ein wenig mehr Vitaminen,
Sonne, Folsäure, Omega, Bewegung?
Mit ein wenig mehr Freude?
Die Kinder essen Nudeln mit Tomatensoße
im verwilderten Garten,
die besten Nudeln der Stadt.
Dann Wassermelone.
Wir lachen.