Geburtenraten und Kinderwunsch in Deutschland stagnieren und hier ist, warum
Der Pillenknick liegt in Deutschland lange zurück, die Geburtenrate bleibt aber trotzdem seit vielen Jahren auf konstant niedrigem Niveau. Oder war der Pillenknick für den nachlassenden Kinderwunsch nie verantwortlich?
Seit Anfang der 1990er Jahre bekommen Frauen in Deutschland im Durchschnitt 1,4 Kinder.
Im Jahr 2013 stieg dieser Wert zwar leicht auf 1,41 Kinder, es wurden also rund 8.500 Kinder mehr geboren als im Jahr 2012. Ein erfreulicher Trend, oder wird die Kurve langfristig doch in den Keller fallen, wovon das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung ausgeht?
Im Unterschied zu den Geburtenraten steigt das Alter der Erstgebärenden kontinuierlich an. Es lag 2013 bei 29 Jahren, während es 2009 noch bei 28,5 lag: in knapp fünf Jahren hat sich das Alter der Frauen bei ihrem ersten Kind um ein halbes Jahr erhöht.
Die Gründe für die anhaltend schwache Geburtenrate sind sicher vielfältig.
Während die Politik versucht die schwache Geburtenrate mit finanziellen Anreizen zu steigern, weisen die Erkenntnisse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) mehr als nur finanzielle Ursachen aus.
Von den Frauen der Geburtenjahrgänge 1970 bis 1980 nehmen die Forscher an, dass 22 Prozent kinderlos bleiben werden. Bei den Akademikerinnen der Jahrgänge 1969 bis 1973 sind es sogar 30 Prozent.
In der Gesamtbetrachtung wissen wir nicht genug darüber, wie die heutige Lebensplanung der jungen Frauen aussieht und welche Faktoren und in welchem Ausmaß diese ihren Wunsch nach Kindern beeinflussen.
Umfragen des BiB haben ergeben, dass lediglich 10% der Befragten keinen Kinderwunsch haben, und dass ansonsten meistens zwei Kinder als gewünschte Familiengröße angegeben werden.
Werden die Zahlen zur Entwicklung der Geburtenrate näher betrachtet, fällt aber besonders auf, dass das Alter, in dem Frauen ihr erstes Kind zur Welt bringen, laut BiB von 26,4 Jahren im Jahr 1980 auf 30,6 Jahre im Jahr 2012 angestiegen ist.
Dies hängt nicht nur mit dem Wunsch nach einer stabilen Partnerschaft zusammen. Auch die wirtschaftliche Sicherheit ist ein ganz wesentlicher Faktor, der den Zeitpunkt der ersten Geburt bestimmt. Mehr als zwei Drittel setzen für die Geburt des ersten Kindes voraus, dass zumindest ein Partner seine Ausbildung abgeschlossen hat und sich in einer gesicherten beruflichen Position befindet.
Daraus resultiert, dass das angestrebte Alter für die Gründung einer Familie mit 27 Jahren angegeben wird. In der logischen Konsequenz muss das Alter der ersten Geburt darüber liegen, da der Kinderwunsch nicht direkt nach der Hochzeit in Erfüllung geht. Zudem hat sich die Arbeitswelt dahingehend verändert, dass die berufliche Zukunft nach zwei bis drei Jahren in einer Anstellung noch nicht als gesichert angesehen werden kann.
Das höhere Alter bei der Geburt schafft aber noch weitere Hindernisse. Die Mehrzahl der Deutschen mit Kinderwunsch halten zwei Kinder für ideal. Ein kleiner Anteil (höchstens 20%) auch drei. Also: bringt eine Mutter das erste Kind erst im Alter von rund 30 Jahren zur Welt, wird die Zeit für das zweite oder gar dritte Kind knapp. Und je länger das Paar seinen Kinderwunsch aufschiebt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es dann unabsichtlich nicht mehr klappt.
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist die, dass immer mehr Frauen der Meinung sind, ein Kind unter drei Jahren sollte zu Hause durch die Eltern und nicht tagsüber in einer Kita betreut werden. Ich vertrete auch diese Meinung, deshalb bin ich vor drei Jahren, als mein zweiter Sohn zur Welt kam, aus dem Leben für die Forschung ausgestiegen.
An dem Zeitpunkt habe ich auch den Unterschied verstanden zwischen den Jobs, die sich auch in Teilzeit erledigen lassen, und den Karrieren, für die man Tag und Nacht lebt.
In der Zeit, als wir noch keine Kinder hatten, liebte ich es, dass mein Mann abends so oft ins Training ging. An diesen Tagen konnte ich nämlich ohne schlechtes Gewissen erst um 19 Uhr oder noch später aus dem Labor heimkommen und dann noch ein paar Stunden in aller Ruhe weiter arbeiten. Mit Kindern wollte ich dieses Privileg nicht mehr haben.
Eben solche Einstellungen lassen sich nur schwer mit dem Wunsch vieler Frauen nach beruflicher Selbstverwirklichung vereinbaren. Ich sehe nicht, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird.
Die Gründe für diesen Gegensatz lassen sich in der gesellschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte finden. Auf der einen Seite fühlen sich junge Eltern dem Druck ausgesetzt, ihren Kindern in der Erziehung alle sich bietenden Möglichkeiten und eine maximale Aufmerksamkeit anzubieten. Auf der anderen Seite steht die Forderung, dass die Frauen nicht nur die Kinder (und den Haushalt) im Griff haben, sondern auch ihre berufliche Karriere im Auge behalten sollten.
Beide gesellschaftlichen Entwicklungen sind im Grunde genommen positiv, nur dass die zweite (die Anforderung an die Frauen, mitten in ihren fruchtbarsten Jahren, Karriere zu machen) erst seit wenigen Generationen überhaupt eine Rolle in der menschlichen Wahrnehmung spielt, und dass beide zeitaufwendig sind und sich nur schwer miteinander vereinbaren lassen.
Was oft als Wunsch nach Selbstverwirklichung dargestellt wird, ist heutzutage schlicht ökonomische Notwendigkeit. War es bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts in der Regel möglich, z.B. mit dem Einkommen als Handwerker eine Familie mit zwei Kindern zu ernähren, ist dies bei jungen Familien heute nicht mehr der Fall. In der Folge muss die Mutter, sobald das Kind einen Platz in der Kita bekommen hat, einer eigenen Arbeit nachgehen, was häufig dazu führt, dass auf das zweite Kind verzichtet wird.
Und noch etwas: viele Deutsche sehen Kinder zwar als Bereicherung an, aber nur wenn es nicht mehr als zwei sind. Familien mit vielen Kindern werden in der Gesellschaft häufig schlecht angesehen oder sogar als asozial bezeichnet. Somit wird der Wunsch nach einer Familie mit möglichst vielen Kindern von den meisten Eltern aufgegeben, weil sie Angst vor dem sozialen Abstieg haben.
Insgesamt betrachtet greift es also zu kurz, wenn von Seiten der Politik mit finanziellen Anreizen und Betreuungsplätzen versucht wird, den Kinderwunsch innerhalb der Familien zu fördern.
Vielmehr müsste ein Konzept entwickelt werden, das die gesamtgesellschaftlichen Einflüsse bei der Entscheidung für oder gegen Kinder berücksichtigt. Obwohl, so viel Theorie brauchen wir vielleicht auch nicht?
Oft denke ich, die bestehenden Systeme zu verbessern wäre schon ein großer Schritt.