Wie natürlich ist künstliche Befruchtung?
Haben Sie auch gemerkt, wie oft alle Methoden, die die Reproduktionsmedizin anbietet, in einen Topf geworfen werden?
Eizellspende und Leihmutterschaft?
IUI und ICSI?
Ich würde gern behaupten, dass sei das gleiche wie Äpfel und Birnen zusammenzuwerfen, aber die sind ja beide wenigstens Obst. Dagegen gehen manche Kinderwunsch-Behandlungen viel weiter auseinander.
Folgendes passiert im Laufe der Kinderwunsch-Behandlung und so stehen die Methoden im Vergleich zum normalen Geschlechtsverkehr:
1) Insemination (IUI)
Die versteht doch jeder, oder? Insemination haben früher die meisten Menschen vor allem aus der Welt der Tiere (Pferde, Rinder, Ziegen und sogar Bienen) gekannt. Es gibt immer noch Menschen, die es aus irgendeinem Grund als beleidigend empfinden, mit Tieren auf eine Ebene gestellt zu werden. Ich finde genau das bei den Technologien der Reproduktionsmedizin gut, dass sie uns bei manchen Fragen hart aber bestimmt auf den Boden der Tatsachen holen.
Der Vorgang der Insemination ist so einfach, dass er es kaum verdient, als eine ärztliche Behandlung verstanden zu werden. Insemination kann in der Frauenarztpraxis durchgeführt werden (und auch bei Ihnen zu Hause).
Bei der Insemination geht es vor allem darum, dass der Weg, den die Samenzellen bis zum Ei zurücklegen müssen, verkürzt wird. Nachdem der Mann sein Ejakulat abgegeben hat, wird es aufbereitet, so dass nur die vitalsten und beweglichsten Spermien bleiben. Sie werden dann durch einen Katheter genau da oder noch ein Stück tiefer platziert, wo ein Orgasmus sie auch hingebracht hätte.
Also, bei der Insemination wird den Spermien zwar geholfen, aber sie haben immer noch selber eine ganze Strecke zu schwimmen und sich durchzukämpfen, bevor sie die Eizelle erreichen. Wenn es soweit ist, wird die Eizelle selbst entscheiden, welcher der Kandidaten hereingelassen wird.
Aus diesem Grund ist die Insemination dem “normalen” Sex ganz ähnlich (und die Chancen, dass eine Frau mittels Insemination schwanger wird, ähneln logischerweise den spontanen Befruchtungsraten der Frauen in ihrem Alter).
2) IVF
Die nächste Stufe auf der Treppe der Kinderwunsch-Behandlungen heißt In-Vitro-Fertilisation.
Hier landen Frauen über 35 ziemlich schnell, typischerweise schon, nachdem wenige, hintereinander folgende Inseminationsversuche nicht geklappt haben.
Was ganz gut ist, weil diese Altersgruppe nicht viel Zeit zu verschenken hat – es gibt nämlich keine Garantie, dass schon die erste IVF erfolgreich sein wird. Die Statistik ist da ganz hart und sagt: Innerhalb von fünf bis sechs IVF-Zyklen werden über 80% der Paare zu ihrem Wunschkind kommen.
Also, anstatt die Erwartungen zu hoch zu stecken, ist es besser sich auf eine lange Durststrecke vorzubereiten (aber hoffentlich werden Sie, wie die meisten Leserinnen meines Blogs, es schaffen, auf natürliche Weise schwanger zu werden und diese Technologien nie einsetzen müssen).
Im Unterschied zur Insemination hat sich die IVF vom „natürlichen“ Sex relativ weit entfernt. Um die Eizellen zu gewinnen, bekommen die Frauen eine Vollnarkose, weil die Ärzte ganz schön tief in den Körper eindringen müssen.
Der Rest geschieht im Labor. In der Petrischale werden sich Eizellen und Spermien treffen.
Aber bedeutet das automatisch, dass IVF als eine Prozedur zu verstehen ist, die mit dem natürlichen Vorgang der Befruchtung nichts mehr zu tun hat?
Als Zellbiologin, die unzählige Millionen von adulten Stammzellen in Petrischalen verwaltet hat, ist meine Meinung dazu: Ja und Nein.
Einerseits werden bei der IVF die Eizellen der Frau und die Spermien ihres Partners in eine künstliche Umgebung abgegeben und anstatt im Körper treffen sie sich in einer Flüssigkeit in einem Plastikgefäß. Aber auf molekularbiologischer Ebene betrachtet bleiben noch Möglichkeiten für ein erfolgreiches Date offen, mit allem, was dazu gehört: zahlreiche Spermien, die ihren Weg zur Eizelle finden – und der eine Gewinner, für den die Eizelle selbst sich entscheidet!
Wie entscheidet aber die Eizelle, welche der Tausenden von Spermien die passendste Genkombination anbietet, die zum fittesten, gesündesten Baby führt?
Die Mechanismen, die dabei im Spiel sind, sind noch nicht ausreichend bekannt.
Oft wird vermutet, dass bestimmte Proteine an der Oberfläche beider Zellen hier die entscheidende Rolle spielen und das die Eizelle anhand ihrer Kombination “merkt“, ob dabei ein möglichst überlebensfähiger Embryo entstehen würde.
Also, bei der IVF laufen viele Dinge noch so, wie sie in der Gebärmutter gelaufen wären. Viele Spermien bedecken die Eizelle – sie mag nach der Entnahme unter Vollnarkose noch etwas verwirrt sein, aber eine verwirrte Königin ist immer noch eine Königin und darf sich selbst aussuchen, mit welchem der Spermien sie ein neues Leben bildet.
Wie natürlich ist künstliche Befruchtung?
3) ICSI
Von allen Methoden, die die Kinderwunschpraxen anbieten, hat diese sich noch ein Stück weiter vom üblichen Geschlechtsverkehr entfernt. Gleichzeitig ist ICSI am stärksten mit Langzeit-Risiken für die Gesundheit der Kinder verbunden, die auf diese Weise entstehen.
Aber möchte ich damit sagen, ICSI wäre nicht eine wunderbare Möglichkeit, ein Geschenk des Himmels für Frauen, ihren Kinderwunsch trotz Unfruchtbarkeit zu verwirklichen?
Ganz sicher nicht.
Die Sache ist nur, dass wir noch nicht viel darüber wissen, was bei ICSI alles in einer Eizelle zerstört wird, oder welche Konsequenzen das für die zukünftige Gesundheit des Kindes haben könnte.
Was rein technisch in der Petrischale stattfindet, ist, dass ein Embryologe aus dem Ejakulat zuerst einige gute und fitte Spermien aussucht. Dann entscheidet er sich für eines der Spermien und das wird in die Eizelle hineingespritzt. Dabei gelten meine persönlichen Bedenken eben diesem Teil – die Injektion des Spermiums in die Eizelle ist wirklich nichts Zartes. Auf zellbiologischer Ebene betrachtet ist es so, als würden Sie einen Brief im Haus zustellen, indem Sie ihn auf einem Felsbrocken befestigen und dann mit aller Kraft ins Haus werfen, am besten durch die größte Glasscheibe.
Sie können sich vorstellen, wie viel feine Architektur dabei kaputt geht. Macht es der Eizelle wirklich nichts aus?
Kann sie wirklich ganz normal mit Befruchtung und Zellteilung weiter machen?
Völlig unbeeindruckt von den Bedingungen, unter denen die Konzeption stattfand, einem neuen Leben seinen Start geben? Das wissen wir einfach noch nicht.
Schauen Sie sich bitte dieses kurze Video an,
Sie müssen nicht viel von Molekularbiologie verstehen, um zu begreifen, dass bei diesem Vorgang gewisse Strukturen in der Eizelle zerstört werden.
Selbst von einem erfahrenen Embryologen und mit bester Technik durchgeführt, werden Teile der Eizelle verletzt oder durchmischt. Es wäre zu banal zu sagen, bei diesem Eingriff würde viel Gewalt ausgeübt und dies sei für die Eizelle tief und durchgreifend wie eine Transplantation. Aber als Zellbiologin denke ich schon, dass die Zerstörungen der feinen inneren Architektur (Zytoplasma nennt sich so etwas) theoretisch das Potential haben, weitreichende Konsequenzen für die zukünftige Gesundheit des Kindes zu haben, da jede Zelle des zukünftigen Kindes aus dieser Eizelle stammen wird.
Es gibt gute Gründe, warum ICSI gemacht wird: nur noch wenige Eizellen bei der Frau und unbewegliche Spermien bei dem Mann gehören zu den Klassikern. Aber manchmal wird ICSI eingesetzt, um noch eine Waffe im Kampf gegen den unerfüllten Kinderwunsch einzusetzen, um nochmal auf Nummer sicher zu gehen, bessere Befruchtungsraten zu erzielen und Abläufe in der Behandlung zu optimieren (ICSI ist logischerweise teurer als IVF).
Es ist natürlich leicht, zu sagen, die Ärzte sollten diese Waffe bewusst entschärfen und den Eizellen nur in extremen Fällen die Möglichkeit entziehen, selbst das Spermium auszusuchen, mit dem sie befruchtet werden, und die Intaktheit der Zelle nicht durch ICSI zu verletzen.
Aber warum sollte die Reproduktionsmedizin auf die einzige Methode verzichten, die auf direktestem Weg zu einem Embryo führt? Es sind doch die Frauen selbst, die immer die effizientesten Methoden verlangen, irgendwann nur noch möglichst schnell schwanger zu werden. Wen interessieren da noch neue Studiendaten?
Mittlerweile wurden auf der ganzen Welt über fünf Millionen Kinder mit Hilfe von künstlicher Befruchtung geboren (Update Sept 2019 – es sind fast acht Millionen!). Die ältesten dieser Kinder sind erst jetzt alt genug, um gewisse Fragen überhaupt antworten zu können. Und aus ihren Antworten wird klar: die Umstände, unter denen eine Befruchtung stattfindet, sind nicht ganz egal.
Also, Laborbabys (Synthetische Babies! Kinder aus dem Reagenzglas! Ein Monsterbegriff nach dem anderen!) sind aus dieser Welt nicht mehr wegzudenken.
Und ich finde, sie verdienen einen besseren Namen. Vor allem, weil sie absolute Wunschkinder sind und deshalb häufig mehr geliebt werden als natürlich gezeugte Kinder. Und was kann mehr eine Familie stärken als ein Wunschkind?