Ich werde nicht schwanger, das macht mich kaputt!
Sechs Fragen an die Psychologischer Coach Casy Dinsing
Casy Dinsing ist Krisen- und Kommunikationscoach und Gründerin des YouTube-Kanals BETTER CALL CASY. Sie sagt: Ich helfe Menschen, ihr Leben selbstbestimmt und selbstwirksam zu gestalten. Casys Gedanken über Persönlichkeitsstörungen und Angst-Fragen waren für mich persönlich sehr hilfreich; darüber habe ich auf Paleo Mama schon geschrieben.
Heute rede ich mit Casy über Kinderwunsch. Ein lange unerfüllter Kinderwunsch tut weh – von meinem Klientinnen kenne ich es gut und wissenschaftliche Daten bestätigen das eindeutig: die durch eine ungewollte Kinderlosigkeit verursachten psychischen Störungen gleichen den seelischen Zuständen, welche bei anderen schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs erlebt werden.
Ich werde nicht schwanger, das macht mich wirklich kaputt, sagte vor kurzem eine junge Patientin. Deshalb reden Casy und ich heute über die Auswirkungen der ungewollten Kinderlosigkeit auf die Psyche der Frau.
Darja Wagner aka Paleo Mama: Seit langer Zeit wissen wir, dass langjähriger unerfüllter Kinderwunsch oft viel Neid verursacht und vor allem Frauen in hoffnungslose seelische Zustände stürzen kann. Wie viele Studien zeigen, sind ihre Stimmungsschwankungen und Ängste sind vergleichbar mit den seelischen Schmerzen derer, die an Krebs oder chronischen Schmerzen leiden. Vor kurzem las ich bei American pregnancy.org Berichte über Frauen, die beides – Krebs und Kinderwunschbehandlungen – am eigenen Leib erfahren mussten. Sie bewerteten letzteres als schlimmer. Macht das für dich als Psychologischer Coach Sinn? Unerfüllter Kinderwunsch ist doch nicht lebensgefährlich?
Casy Dinsing: Natürlich ist ein unerfüllter Kinderwunsch nicht lebensgefährlich so wie es Krebs sein kann. Trotzdem kann er sich lebensbedrohlich anfühlen, in dem Sinne, dass es ein Lebenskonzept durcheinanderbringt oder sogar zerstört.
Wenn ich mir ein Leben nur mit Kindern vorstellen kann und mein Traum nicht in Erfüllung geht, kann das zu extremen Belastungen führen: von Anpassungsstörungen über Depression bis dahin, dass ich vielleicht mein Leben in Frage stelle und suizidal werde. Und gerade wenn Frauen unbedingt ein Kind möchten, sogar Kinderwunschbehandlungen in Anspruch nehmen und immer wieder enttäuscht werden, dann ist das eine wahnsinnig herausfordernde Belastung für die Psyche.
Mehr oder weniger unterdrückte Neidgefühle auf Freundinnen und weibliche Verwandte, die schwanger werden, sind vorprogrammiert – gerade in den schwierigen Phasen, nach einer gescheiterten Kinderwunschbehandlung oder einfach einem negativen Schwangerschaftstest. Solche psychischen Belastungen und seelischen Schmerzen können zu einer langen Identitätskrise führen, die sich in vielen Symptomen äußern kann.
Ich werde nicht schwanger, obwohl wir alles probiert haben – wenn der Kinderwunsch zur Qual wird
Darja Wagner aka Paleo Mama: In letzter Zeit bemerke ich in den wissenschaftlichen Fachzeitschriften eine Tendenz, langjährigen unerfüllten Kinderwunsch mit einem Trauma zu vergleichen. Was ist ein Trauma und warum ist es gefährlich?
Casy Dinsing: Trauma ist eine außerordentliche Situation, die man nicht bewältigen kann, z.B. Vergewaltigung oder wenn ich Zeuge eines Mordes werde.
Trauma kommt vom griechischen Wort τραύμα und bedeutet „Wunde“. Somit ist Trauma ein Geschehen, das in meinem Empfinden so großen Schaden anrichtet, dass ich erst einmal damit gar nicht klar komme. Es kann sein, dass ich mein ganzes Leben lang brauchen werde, damit diese Wunde heilt. Aber ein Trauma kann heilen.
Ein unerfüllter Kinderwunsch ist in dem Sinne nicht das gleiche – es ist keine Verletzung, sondern eher ein kontinuierlicher seelischer Schmerz.
Wenn das Thema Kinderwunsch allgegenwärtig wird und die seelischen Leiden so groß werden, dass die eigene Psyche sie nicht mehr bewältigen kann; wenn die Frau keine Resilienz und keine psychische Widerstandskraft mehr hat, um mit permanenten Enttäuschungen und permanent zerstörten Hoffnungen umzugehen, dann kann sie leicht in eine oder mehrere ungesunde Bewältigungsstrategien flüchten: in die soziale Isolation oder in die depressive Verstimmung wären die typischsten. Oder sie greift zu sozial besser akzeptierten und verbreiteten Ablenkungsstrategien wie Pseudo-Entspannungen, exzessives Shoppen und so weiter.
Das Leiden der Paare mit unerfülltem Kinderwunsch ist groß und wenn dazu noch finanzieller Druck oder familiäre Erwartungen kommen, werden verschiedene Bewältigungsstrategien eingesetzt als ein nötiges Mittel, um Ängste abzubauen.
Darja Wagner: Irgendwann dreht sich das Leben der Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch nur noch um ihren Zyklus und den Eisprung… Woran erkennt man den eigenen Tunnelblick und dass man schon längst eine selektive Wahrnehmung entwickelt hat?
Casy Dinsing: Ich denke, dass die meisten Frauen schon merken, wenn sie den Tunnelblick entwickelt haben. Bei meinen Klienten merke ich immer wieder, dass sie sehr gut wissen, wenn es für sie kein anderes Thema mehr gibt. Es scheitert vielmehr an dem Willen und der Energie, sich aus dem Tunnel heraus zu bewegen.
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Darja Wagner: Woran merkt eine Frau, dass ihr seelischer Zustand nichts mehr mit üblichen Stimmungsschwankungen zu tun hat, sondern dass sie vielleicht Hilfe braucht?
Wenn der Freundeskreis sich – ob beabsichtigt oder nicht – plötzlich verändert oder „ausdünnt“ ist das oft ein wichtiger Hinweis.
Es ist sehr wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, dass man auch andere Bereiche im Leben braucht, um sich zu schützen. Selbst wenn die biologische Uhr tickt und die Eizellen mit 40 nicht mehr die gleichen sind wie mit 25, brauchen Frauen noch andere Themen im Leben, um in Balance zu bleiben.
Wie man sich gut helfen kann ist z.B. ein Stimmungstagebuch zu führen: am Ende jedes Tages kurz zusammenzufassen, welche Themen haben mich heute beschäftigt?
Wieviel Prozent meiner frei zur Verfügung stehenden Zeit habe ich diesem Thema gewidmet?
Manchmal wird das sehr viel sein – gerade am Anfang einer Phase, wenn man z.B. wegen einer Diagnose mehr Informationen braucht, ist eine zeitliche Investition in die Recherche unverzichtbar. Wenn der Krampf aber nicht loslässt, sondern nach einigen Wochen und Monaten sich sogar verstärkt, ist es ein Zeichen, dass man professionelle Hilfe braucht.
Ein Verlust will verarbeitet werden, damit man wieder Freude am Leben finden kann.
Darja Wagner: Seit mehreren Jahren bin ich ein großer Fan von deinen YouTube Videos. Meine persönliche Favoriten sind deine Zusammenfassungen diverser Persönlichkeitsstörungen. Aber auch mit anderen Themen kennst du dich gut aus: Ärger, Angst, Depression, Umgang mit Menschen, die einen belasten usw. Hast du einen Tipp für Paleo-Mama Leserinnen: Wie schafft es eine Frau, weniger zu trauern und sich selbst von eigenen Erwartungen und Vorstellungen weniger unter Druck zu setzen?
Casy Dinsing: Ladies, es ist in Ordnung, zu trauern! Es ist in Ordnung, wütend zu sein! Es ist in Ordnung, sogar in ein Loch zu fallen, bevor man zur Akzeptanz von was-auch-immer kommt. Reflektieren Sie darüber selbst: verabschiede ich mich von dem Bild eines Kindes oder stecke ich in einer Identitätskrise? Verabschiede ich mich davon, Mutter sein zu wollen?
Wenn ich keine Mutter bin, wer bin ich dann und was bin ich dann noch als Frau wert?
Die Auseinandersetzung mit solchen Gedanken kann einen tiefen Eingriff in die Identität und viel Traurigkeit bedeuten. Nicht jede findet den Weg daraus allein; deshalb ist es wichtig, rechtzeitig Hilfe zu suchen.
Unerfüllter Kinderwunsch – Neid kommt oft vor
Darja Wagner: Wie lange sollte man versuchen, sich selbst zu helfen und mit welchen Mitteln?
Casy Dinsing: Ich erinnere mich jetzt an eine Klientin, deren Kind mit 9 oder 10 Jahren tödlich verunglückt ist. Zu dem Zeitpunkt als sie bei mir eine Therapie machte, war ihr Kind bereits 15 Jahre tot. Trotzdem verhielt sie sich, als ob es gestern gewesen wäre. Trauer und Wut waren bei ihr ein Dauerzustand. Die Frau ist in der ersten Phase des Traumas („Das ist nicht wahr, das kann nicht sein!“) hängengeblieben und fand keinen Weg heraus. Der Tod des Kindes ist selbstverständlich eine Tragödie, aber wenn nach 15 Jahren die Intensität des Trauerns immer noch überwältigend ist, dann spricht man von einer gescheiterten Selbsthilfe.
Extreme und anhaltende Traurigkeit sowie Neid und Gefühle des nicht-loslassen-Könnens, trifft man oft bei Frauen, die Fehlgeburten oder gescheiterte künstliche Befruchtungen erlitten haben. Dabei ist es oft hilfreich, gerade in der ersten Phase des Trauerns Hilfe zu suchen.
“…The infertile women had global symptom scores equivalent to the cancer, cardiac rehabilitation and hypertension patients, but lower scores than the chronic pain and HIV-positive patients.The anxiety and depression scores of the infertile women were significantly lower than chronic pain patients but not statistically different from the other groups. The results suggest that´the psychological symptoms associated with infertility are similar to those associated with other serious medical conditions. Therefore, standard psychosocial interventions for serious medical illness should also be applied in infertility treatment. Domar AD, Zuttermeister PC, Friedman R. The psychological impact of infertility: a comparison with patients with other medical conditions. J Psychosom Obstet Gynaecol. 1993;14 Suppl:45-52.”
Psyche und Kinderwunsch – rechtzeitig Hilfe suchen
Darja Wagner: manche Krankheiten scheinen eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz gefunden zu haben: Krebs, Depression, sogar bipolare Störung… über alles redet man lieber als über die Unfähigkeit, als Paar aus eigener Liebe heraus ein Kind machen zu können. Dafür gibt es gute Gründe und deshalb: wenn alle Selbsthilfe scheitert, von wem sollte man sich helfen lassen? Psychologen, Psychiater oder Heilpraktiker?
Casy Dinsing: Wenn man eine medikamentöse Unterstützung braucht (weil eine Störung von früher bekannt ist) so ist ein Psychiater der einzige, der Psychopharmaka verschreiben kann. Auch eine gute Sozialberatung, psychologisches Coaching oder ein Heilpraktiker für Psychotherapie, der sich auf das Thema unerfüllter Kinderwunsch spezialisiert hat, sind Ansprechpartner.
Es ist terminlich oft einfacher, bei einem Coach oder Heilpraktiker eine Sitzung zu bekommen als beim Psychologen. Oder die Frau sucht sich eine Selbsthilfegruppe – man muss wirklich nicht alles allein bewältigen.
Es ist jedenfalls in erster Linie wichtig, sich erst einmal seelisch zu stabilisieren und danach Wege zu suchen, damit es einem wieder auf Dauer gut geht. Ein Verlust will nämlich verarbeitet werden, damit man wieder Freude am Leben finden kann.
Darja Wagner: Danke Casy für dieses wunderbare Gespräch!
Kinderwunsch und Psyche – wissenschaftliche Literatur
- “….Moreover, when the cause of infertility is exclusively female, women experience higher levels of anxiety and general distress both before and during the treatment, probably correlated to a sense of guilt. These data help the treating physician to better counsel patients and to provide a more focused psychological support….” Massarotti C, Gentile G, Ferreccio C, Scaruffi P, Remorgida V, Anserini P. Impact of infertility and infertility treatments on quality of life and levels of anxiety and depression in women undergoing in vitro fertilization. Gynecol Endocrinol. 2019 Jun;35(6):485-489. doi: 10.1080/09513590.2018.1540575. Epub 2019 Jan 7. PMID: 30612477.
- “…Women undergoing assisted reproductive technology treatment, are often anxious and depressed because of their fertility problem and the uncertainties of the treatment with which they have to deal….Lower serum TGF-β and higher cervicovaginal IL-6 and IL-1β were associated with stress. In data decision trees, cytokines in relation to stress and depression in both partners were found indicative of IVF failure.” Maroufizadeh S, Navid B, Omani-Samani R, Amini P. The effects of depression, anxiety and stress symptoms on the clinical pregnancy rate in women undergoing IVF treatment. BMC Res Notes. 2019 May 9;12(1):256. doi: 10.1186/s13104-019-4294-0. PMID: 31072342; PMCID: PMC6507221.
- “…FP patients reported more anxiety and depression than infertile patients at enrollment in treatment, with more than one-third of FP patients reporting clinically significant depressive symptoms.” Lawson AK, Klock SC, Pavone ME, Hirshfeld-Cytron J, Smith KN, Kazer RR. Prospective study of depression and anxiety in female fertility preservation and infertility patients. Fertil Steril. 2014 Nov;102(5):1377-84. doi: 10.1016/j.fertnstert.2014.07.765. Epub 2014 Aug 22. PMID: 25154674; PMCID: PMC4253550.
- “…A complex intervention, based on sound evidence, should be developed targeting both females and males of infertile couples undergoing IVF treatment, particularly during the stressful period of waiting for the results of the pregnancy test result and after failed cycles.” Ying L, Wu LH, Loke AY. The effects of psychosocial interventions on the mental health, pregnancy rates, and marital function of infertile couples undergoing in vitro fertilization: a systematic review. J Assist Reprod Genet. 2016 Jun;33(6):689-701. doi: 10.1007/s10815-016-0690-8. Epub 2016 Mar 16. PMID: 26979745; PMCID: PMC4889475.