Warum Berliner Frauenärzte ihre Vorträge zurückgezogen haben
Manche Messen sind recht langweilig. Nicht so die KinderwunschTage, die am 18.und 19. Februar 2017 in Berlin stattgefunden haben.
Über diese Veranstaltung habe ich schon geschrieben sowie einige kostenlose Tickets verteilt. Seit Wochen habe ich mich auf die interessanten Vorträge gefreut, vor allem auf die von bekannten Kinderwunschärzten aus Berlin, die medizinisch und praktisch relevante Fragen, sowie ein paar heikle Themen aus der Kinderwunschmedizin vor dem breiten Publikum ansprechen wollten. Sogar mein neues Diktafon habe ich mitgenommen, so sicher war ich mir, diese Referenten für Interviews zu gewinnen und ihr Wissen an Sie weitergeben zu können.
Es gab aber nichts zu tun.
Als ich zur Konferenz kam, konnte ich nur noch feststellen, dass die größten Kinderwunschpraxen aus der Hauptstadt einfach fehlten.
Ja, Sie haben mich richtig verstanden. Die Vorträge der Berliner Kinderwunschärzte wurden bis auf wenige Ausnahmen zurückgezogen. Auf dem Zettel, der jedem der Teilnehmer in die Hand gedrückt wurde, stand nur: “…wegen kurzfristiger Nichtverfügbarkeit einzelner Referenten, haben sich einige der Seminare geändert. “
Und so wurden die wirklich knackigen Daten aus der Forschung (z.B. die Vorstellung der Ergebnisse aus dem deutschen IVF-Register) sowie ein paar andere wichtige Themen (die Rolle von Stress und ganzheitliche Methoden in der Kinderwunschmedizin) kurzfristig durch Vorträge ersetzt, die jeder selbst leicht googeln könnte: der Ablauf einer IVF, Erstattung der Behandlungskosten und – welch eine Ironie – Elternschaft durch Adoption.
Einige wenige Kinderwunschpraxen aus Berlin waren doch da – Dr.Peet aus der Praxis für Fertilität und sein Team waren sehr präsent und um viele Aufklärungen bemüht, sowie die Mitarbeiterinnen der Berliner Samenbank, die vielen Interessierten mikroskopische Präparate von Spermien zeigten. Dort habe ich gelernt, anhand welcher Kriterien Samenspender in Berlin ausgesucht werden (ein separater Artikel folgt bald).
Auch die SEJ Berliner Samenbank war da, sowie viele Heilpraktikerinnen, diverse Vereine (Wunschkind, Regenbogenfamilienzentrum, Familien für Kinder, Deutsche Klinefelter-Syndrom Vereinigung), YogaCircle Berlin usw. Es war trotzdem nicht zu übersehen, dass diejenigen fehlten, die manche Fragen am besten beantworten können – die Ärzte.
Gewundert hat mich das nicht.
In den Tagen vor der Veranstaltung wurde nämlich über die Kinderwunsch-Messe in der Presse sehr negativ berichtet. Die Konferenz wurde als “umstritten” bezeichnet; es war sogar von “wachsender Kritik” die Rede, wie z.B. hier oder da lesen können.
Was wurde an den Kinderwunsch-Tagen kritisiert?
Alles und nichts. In den meisten Artikeln wurde einfach eine diffuse, generelle Angst verbreitet (es kommen Kliniken aus dem Ausland; alle wollen am blauäugigen Publikum Geld verdienen, die Kinderwunsch-Messe wäre ein “Angriff auf die Menschenwürde aller Beteiligten”, das Messe-Format wäre falsch usw.).
Die Qualität der verlinkten Artikel können Sie selbst beurteilen, mein persönliches Highlight war die Aussage eines “Gesundheitsexperten” einer Partei (die ausgerechnet im Ärzteblatt veröffentlicht wurde).
Ihn ärgert vor allem, dass “die Reproduktionsmedizin dargestellt wird, als ob es einfach wäre” und dass „von sieben behandelten Frauen sechs am Ende ohne Kind nach Hause gehen“.
Diese Aussage ist so unfreundlich (warum nicht darüber reden, dass jedes siebte Paar in Deutschland unerfüllt kinderlos ist?), dass ich Nachforschungen anstellen musste.Wie sich schnell herausstellte, ist der “Gesundheitsexperte” ein Biologe, der seit 1998 nicht mehr in der biologischer Forschung tätig ist. Also ist es wirklich kein Wunder, dass ihm die Reproduktionsbiologie kompliziert erscheint. Das ist sie auch, und in 1998 befand sich diese Branche auch noch in der Jungsteinzeit (in dieser Zeit wurde auch Embryonenschutzgesetz verfasst); zum Glück hat sich viel seitdem geändert.
Darüber wollten Kinderwunschärzte berichten, taten es aber dann doch nicht.
Das ist nicht gut.
Endlich hätte sich im öffentlichem Raum eine Möglichkeit ergeben können, dass einige der Fortschritte in der Reproduktionsmedizin nicht nur hinter verschlossenen Türen und bei Kongressen diskutiert werden, sondern einem breitem, relevanten Publikum vorgestellt werden. Leider hat die negative Presse zum großen Teil bewirkt, dass einige der Experten, die die Themen am besten kennen, sich zurückgezogen haben.
Sie werden sich vielleicht wundern, wenn ich Ihnen sage, dass der Gesundheitsexperte eigentlich überdurchschnittlich qualifiziert ist im Vergleich zu den anderen, die sich im öffentlichem Raum am häufigsten über Kinderwunschmedizin äußern, und Themen ansprechen, wie die Eizellspende oder Präimplantationsdiagnostik.
Ich verfolge dieses Thema seit Jahren und kann Ihnen versichern, dass die Artikel, die in Zeitungen, Magazinen und Online-Portalen erscheinen, praktisch nie von Reproduktionsmedizinern verfasst werden (von 100 Artikeln werden nur in etwa 1 bis 2 Fällen die Meinungen der Spezialisten angefragt, wie hier z.B: M.Bloechle: Provokant).
In der Tat sind die meisten Artikel, die vom unerfüllten Kinderwunsch handeln, eine seltsame Mischung aus pathetischen Patienten-Geschichten und unpräzisen, vagen Aussagen, die ihre Leser nur verängstigen und verunsichern können.
Es mangelt an Information. An kompetenter Information
Der Mangel an kompetenter Information zum Thema Kinderwunsch ist generell in Deutschland immens.
Googeln Sie einfach mal den Begriff “unerfüllter Kinderwunsch”und schauen Sie selbst, was dabei herauskommt. Werbung und Forenbeiträge ausgenommen, bleiben Ihnen auf der ersten Seite der Suchergebnisse nur ZWEI echte Artikel.
Der erste wurde von einer Physikerin, der zweite von einer Germanistin verfasst. Und das sind noch gute, leuchtende Beispiele für Informationen, die im deutschsprachigen Internet-Raum zu finden sind.
Was mir nicht ganz unrecht ist, da Frauen deshalb zu meinem Blog finden.
Seitdem ich angefangen habe, über die zellbiologische Seite des Kinderwunsches zu schreiben, ist die Paleo-Mama Seite exponentiell gewachsen und ich bin immer wieder erstaunt, mit welchen speziellen, ausgefeilten Fragen Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch auf mich zukommen. Also allen, die befürchten, dass Veranstaltungen wie die Kinderwunsch-Messe die “Würde der Beteiligten gefährden”, kann ich sagen: Sie unterschätzen Ihr Publikum sehr.
Mit euren schlecht recherchierten, schnell geschriebenen Artikeln schadet ihr erstens einer Branche der Medizin, die in Deutschland sowieso zurückgeblieben ist und zweitens, bewirken Autoren von Artikeln wie diesem (“Designer-Babys bevorzugt”), dass eine Atmosphäre der Angst entsteht.
Bedenken Sie, dass jetzt schon jedes 30. Kind, das in Deutschland geboren wird, sein Leben einer Kinderwunschpraxis zu verdanken hat, Tendenz steigend.
Aber aus irgendeinem Grund scheint es in Deutschland trotzdem schwierig zu sein, kompetente Leute zu finden, die zum Thema Reproduktionsmedizin mehr als eine irrationale, ängstliche Meinung anzubieten haben.
Und dabei geht es beim unerfüllten Kinderwunsch einfach um Zellen. Um zwei Sorten von Zellen, genauer gesagt: Eizellen und Spermien. Und darüber, wie man sie dazu bringt, ein neues Leben zu ermöglichen. Und zusätzlich geht es um Hormone, Alterung und ein paar andere Dinge, für die man verdammt hart studieren musste, um sie zu verstehen.
In der Tat ist es überhaupt nicht möglich, sich kompetent über unerfüllten Kinderwunsch zu äußern, ohne etwas davon zu verstehen. Und genauso ist es falsch, pauschal Veranstaltungen zu beurteilen, bei denen sich alle Beteiligten aus der Branche einfach treffen wollten; es führt nämlich dazu, dass die Menschen, die komplexe Sachverhalte am besten vermitteln können, fern bleiben.
Deutsches Embryonenschutzgesetz: alles ist nicht so einfach
Seit mehreren Jahren bringt es mich abwechselnd zum Weinen oder Lachen, wenn ich lese, wer sich so alles über die “künstliche Befruchtung” äußert.
Wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, sind es oft die typischen alpha-Männchen, die meinen, Frauen darüber belehren zu müssen, wie sie ihren Kinderwunsch zu erfüllen haben. Bevor ich Ihnen ein paar Beispiele gebe (und die Medien sind voll davon, recherchieren Sie gern selbst), möchte ich Sie kurz etwas fragen:
Wussten Sie, dass den Spermien in Deutschland auf jede Art und Weise geholfen werden kann, den Eizellen aber nicht? Dass gleiche Behandlungen, die bei Männern unterstützt werden, bei Frauen schlicht verboten sind?
Bei männlicher Unfruchtbarkeit werden die Spermien aufbereitet, aufgepeppt, die besten herausgesucht und die ganz zurückgebliebenen notfalls im Labor noch nachgereift und schließlich in die Eizelle hineingespritzt, damit nichts schief geht und ein Mann seine Gene weitergeben kann. So weit geht die Medizin in Deutschland, um Männern zu helfen, biologische Väter zu werden.
Und falls ein Mann aus irgendeinem Grund doch gar keine Spermien hat, kann er sich von anderen Männern helfen lassen und sich für eine Samenspende entscheiden, ob eine anonyme oder eine ganz offene.
Nur wenn es zu den Eizellen kommt, scheint alles verboten zu sein.
Wenn eine Frau mit ihren Eizellen etwas unternehmen möchte, machen sich die Männer plötzlich Sorgen um gesundheitliche Risiken (die es sicherlich gibt, aber nicht so viele, dass man die Methode ganz verbieten müsste).
Allein die Möglichkeit, dass irgendeine Frau sich von einer anderen helfen lässt und deren Eizellen übernimmt, bringt viele männliche Experten buchstäblich auf die Palme. Darüber hätte die Evolutionsbiologie und Schimpansen-Forschung sicherlich viel zu sagen, das alles sind bekannte Verhaltensmuster unter Primaten.
Und noch etwas fällt auf: Je weniger solche Männer etwas von Biologie und Medizin verstehen, desto fordernder werden sie. Sogar die katholische Kirche fand Zeit, die Kinderwunschmesse in Berlin zu kritisieren. Ich zitiere:
“Die katholische Kirche warnt vor Anbietern auf der ersten Kinderwunsch-Messe an diesem Wochenende in Berlin…”
Als ich vor 20 Jahren nach Deutschland kam (aus einem Land, in dem Religion keine Rolle gespielt hat), habe ich mich gewundert als ich entdeckte, wie viel Energie die Kirche in Deutschland in gynäkologische Fragen (z.B. Abort) steckt.
Jetzt geht die Kirche einen logischen Schritt weiter und begibt sich auf die Zell- und Molekularebene.
Wozu führt das alles?
Unter anderem dazu, dass überall und regelmäßig Artikel im Zusammenhang mit Kinderwunsch publiziert werden, die manchmal soweit gehen, dass man sie ruhig als unmoralisch bezeichnen kann.
Wie dieses Beispiel hier, wo jungen Frauen suggeriert wird, ältere Frauen würden mehr Eizellen bilden, einfach auf natürlichem Wege schwanger werden und das sogar mit Zwillingen (Amal Clooney, Beyoncé Warum ältere Frauen häufiger Zwillinge bekommen).
Zum Schluss: Was gab es noch bei den Kinderwunsch-Tagen?
Also zurück zur Messe selbst, die viel weniger spektakulär war als die Situation der Kinderwunschmedizin in Deutschland.
Im Unterschied zu unseren Ärzten haben sich die ausländischen Ärzte nicht verunsichern lassen.
Die Auftritte der Kliniken aus Spanien, Tschechien, USA, Estland, Türkei, Ukraine und Dänemark waren sehr kompetent, selbstsicher und freundlich. Fast ohne Ausnahme bieten sie Eizellspende, Leihmutterschaft und Präimplantationsdiagnostik an und sie waren auch bereit, diese bis in jedes Detail zu erklären und sich jeder Frage zu stellen. Außerdem bemühten sie sich um eine Prise Leichtigkeit, wie man dem Flyer der estländischen Klinik entnehmen kann:
“…hier wurden Skype und Transferwise erfunden, hier gibt es papierlose E-Regierung, wir haben E-Voting und elektronische Rezepte. Aber unsere Ärzte sind echt und sie haben für Sie immer persönlich Zeit und Aufmerksamkeit. “
Eine Ärztin aus einer spanischen Klinik lachte, als sie mir noch kurz vor dem Schluss der Veranstaltung erzählte, wie ihrem Team das Werbematerial ausgegangen ist und wie sie ohne Kugelschreiber nach Hause fliegen werden, so groß war das Interesse der Besucher für ihre Angebote.
Das Publikum in Berlin fand sie wunderbar und aufgeschlossen, lobte deutsche Frauen als höflich und anders als bei den Kinderwunsch-Messen in England und den USA, wo viele tun als “würden sie schon alles wissen”.
Beim Vortrag der ukrainischen Klinik platzte der Raum aus allen Nähten und ich schätzte mich glücklich, noch einen Platz auf dem Boden gefunden zu haben. Die Ärztin erzählte u.a. über die Eizellspende und die Erfolgsraten ihrer Klinik (worauf die meisten anderen Aussteller verzichtet haben, um im Einklang mit dem deutschen Embryonenschutzgesetz zu bleiben).
Über medizinische Reisen in die Ukraine habe ich eine ganz bestimmte Meinung, aber weil mein Blog ein Ort der Heiterkeit und der Hoffnung ist und bleibt, sage ich dazu nur, dass jede Frau für sich selbst entscheiden muss, was sie bereit ist, zu riskieren. Für Annegret Raugnik hat sich die Ukraine gelohnt.