Was antworten, wenn der Chef nach Kinderwunsch fragt?
Gestern sagte mir eine Patientin im Skype-Gespräch:
“Ich bin so froh, dass ich wenigstens mit dir über diese Themen reden kann. Klar haben wir Freunde, aber sie fragen nur und fordern, wollen wissen…Aber sie geben wenig über sich selbst Preis und unseren unerfüllten Kinderwunsch verstehen sie nicht. Meine Familie sagt, ihr habt ja schon ein Kind, was wollt ihr noch in eurem Alter?, und in der Arbeit fasse ich das Thema schon mal gar nicht an.”
Ich höre solche Sätze oft und es überrascht mich trotzdem jedes Mal. Trotz der Tatsache, dass es mit meinen eigenen Freunden, Familie und Arbeitgebern damals nicht anders war.
Die ersten 30 Jahre meines Lebens schienen meine Eltern nur daran interessiert gewesen zu sein, dass ich eine gute Ausbildung bekomme und einen guten Platz in der Arbeitswelt finde. Kaum wurde das geschafft, waren sie unglücklich darüber, dass es noch keine Enkelkinder gab. In wenigen Jahren explodierte der Wunsch meiner Eltern nach Enkelkindern und heute, wo sie drei davon haben, merke ich, dass ihr Interesse an mir nie zurückgekehrt ist. Und an meine Doktorarbeit erinnert sich sowieso niemand mehr.
Das mag alles normal sein, aber wann macht man klar, dass man in Ruhe gelassen werden möchte? Wie wehrt man unangenehme Fragen ab? Wann spricht man das Thema selbst an? Und wo zieht man die Grenze, wer vom Kinderwunsch wissen sollte und wer nicht?
Es ist nicht realistisch zu erwarten, dass Freunde, Verwandte und Arbeitskollegen Ihr Kinderwunsch unbedingt nachvollziehen können, und erst recht nicht, wenn sie selbst eine ganz andere Lebenssituation haben, z.B. viel älter oder viel jünger sind.
Ich hatte an meinem letzten Arbeitsplatz an der Uni so eine Situation gehabt: im Labor mit über 20 Kollegen, hatten genau drei von ihnen Kinder. Und das kam einfach daher, weil die meisten noch Doktoranden waren und selbst wie Teenager lebten.
Was für Sie selbst schon zur Normalität geworden ist, haben andere oft (noch) nicht im Sinn. So kommt es zu verletzenden Worten, ohne dass dies beabsichtigt war.
Kinderwunsch – wer darf es wissen?
Vielleicht ist es am sinnvollsten, die Gespräche über Familienplanung an Ihre Mitmenschen zu reduzieren.
Weiterhin finde ich wichtig, dass Sie mit Ihrem Partner üben, wie Sie gemeinsam manchen unangenehmen Fragen begegnen können. Es kann sein, dass in Fragen Kinderwunsch eure Bedürfnisse nach Kommunikation und Privatsphäre unterschiedlich sind. Da sollten Sie eine gemeinsame Haltung finden. Mit wem wollen Sie überhaupt darüber reden? Oder noch wichtiger, mit wem definitiv nicht?
Ich persönlich halte es für wichtig, dass man über dieses Thema nicht nur schweigt.
Sie sollten einfach entscheiden, welche Bezugspersonen Sie in Ihr Geheimnis einbeziehen. Es kann sein, dass es sich in die Länge zieht, schwanger zu werden, und dann ist es wirklich gut, Verbündete zu haben und sich austauschen zu können.
Klar werden Sie in diesem Prozess jede Menge Blödsinn zu hören bekommen. Aber nehmen Sie es nicht persönlich!
Sie wissen schon, dass die Ursache für die vorübergehende Kinderlosigkeit in der Regel echte, d.h. physiologische, biologische Gründe hat, und nicht an Ihrer Psyche oder der Anspannung liegt. Und selbstverständlich reichen Dinge wie Urlaub, Optimismus und positive Lebenseinstellung nicht aus, um schwanger zu werden. Aber versuchen Sie, sich in die Rolle Ihrer Angehörigen hineinzuversetzen: was hätten Sie an ihrer Stelle anderes gesagt?
Unerfüllter Kinderwunsch bedeutet eine extreme Belastung, vergleichbar mit dem Tod eines nahen Menschen. Das wird in der Öffentlichkeit ignoriert und unterschätzt. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten der Kinderwunschmedizin weit überschätzt. Es ist eine verrückte Welt, deshalb: überlegen Sie erstmal für sich, welche Menschen Ihnen persönlich gut tun und welche weniger.
Und erlauben Sie sich bitte bestimmte Situationen zu meiden. Seien Sie ruhig „egoistisch und unfreundlich“, es geht um Ihre mentale Gesundheit. Situationen wie Kindergeburtstage und Familientreffen? Vergessen Sie sie einfach vorübergehend.
Belasten Sie außerdem Ihren Partner nicht zu sehr. Männer verarbeiten diese Dinge anders als Frauen und oft hinkt ihr Kinderwunsch dem ihrer Frau hinterher. Also, Ihr Partner braucht nicht jede Einzelheit von Ihrem Zyklus mitzubekommen (und die Lust zwischen Ihnen beiden wollen Sie bestimmt auch nicht abtöten, noch bevor das Kind kommt).
Versuchen Sie trotzdem nicht, alles alleine zu schaffen. In dieser Phase schaffen Sie schon genug. Über den Kinderwunsch zu sprechen ist sehr erleichternd und deshalb, wenn Sie in Ihrem persönlichen Kreis niemanden dafür finden, suchen Sie ruhig Kontakte in Internet-Foren. Diese sind besser als ihr Ruf, glauben Sie mir. Ich kenne Kinderwunschärzte, die unter vier Augen sogar zugeben, einige neue Erkenntnisse in diesen Foren gewonnen zu haben.
Familienplanung mit Chef besprechen oder lieber nicht?
Das ist keine einfache Entscheidung zu treffen und wenn Sie schon länger einen unerfüllten Kinderwunsch haben oder sich schon in der Behandlung befinden, dann müssen Sie besonders gut aufpassen.
Falls Ihnen nichts besseres einfällt, wenn Sie häufig in die Kinderwunschklinik zur Kontrolle müssen, greifen Sie lieber zu kleinen „Notlügen“. z.B., Sie hätten eine Zyste, Magen-Darm Virus, Wasserrohrbruch in der Wohnung, begleiten einen alten Familienmitglied zur Therapie oder was auch immer. Bloß kein Zyklusmonitoring und keine Kinderwunschbehandlung.
Meiner Erfahrung nach ist zu viel Offenheit bei diesem Thema im Job einfach nicht sinnvoll.