Kinderwunsch im Ausland verwirklichen?
Künstliche Befruchtung im Ausland – Pro und Contra
Vor einigen Wochen saß in meiner Beratung ein Paar aus dem Norden Deutschlands. Ihre Bitte an mich: sie wollen zu einer Kinderwunschklinik ins Ausland und ich sollte über ihre Vorauswahl etwas sagen.
Schon nach kurzem Gespräch stellte sich heraus, dass das Paar sich erst seit drei Jahren kennt, seit zwei Jahren einen Kinderwunsch hat und gerade seine erste erfolglose IVF erlebte.
Nach einem langen Monolog schaffte ich es den Beiden zu erklären, das das alles mit dem Kinderwunsch oft gar nicht so schnell klappt und in der Klinik auch nicht. Und noch viel mehr habe ich über Chancen und Wahrscheinlichkeiten geredet, bis die Frau irgendwann einmal sagte: „Ach so. Die Kliniken im Ausland kochen auch nur mit Wasser.“
So ist es.
Ins Ausland brauchen Sie wegen unerfülltem Kinderwunsch wirklich nur in sehr speziellen Fällen zu gehen.
Im Großen und Ganzen kann man dies auf eine Eizellspende reduzieren. Auch das hat nur mit den Gesetzen und nichts mit dem technischen oder sonstigen Können zu tun. An technischem und sonstigen Können und Wissen scheitert in Deutschland auf diesem Gebiet wirklich nichts. Nur an den Gesetzen und an der Kommunikation, was wirklich schade ist.
Jetzt berichte ich Ihnen ein Paar Beispiele aus anderen Ländern, damit Sie merken, wie gut es Ihnen in Deutschland geht – was Sie alles hierzulande zum Glück nicht erleben müssen, und welche schwierigen Entscheidungen Ihnen erspart bleiben.
Kinderwunsch Ausland: High-Tech Orte und ganz viel künstliche Intelligenz
Viele Kliniken im Ausland setzen kompromisslos auf Hightech und einige Methoden, die in Deutschland verboten sind. Inzwischen habe ich für sie nur ein Wort: gruselig.
Diese Methoden und Techniken bringen gelegentlich klare Vorteile. Häufiger aber werden sie angewendet, weil sie eine wichtige Einnahmequelle für die Klinik sind und (dem Eindruck kann ich mich seit Jahren nicht entziehen), weil Ärzte Spaß an ihren tollen Hightech-Spielzeugen haben.
Spontan denke ich jetzt an Carlos und Maria (in Wirklichkeit heißt sie anders). Ursprünglich haben sie mich kontaktiert, weil Carlos sich so sehr einen Sohn wünschte.
Ich sagte zu ihm: „ich habe kein Rezept zum Söhne bekommen und kann mir nicht vorstellen, dass es jemand hätte. Aber deine Freundin Maria wird bald 43. Geht am besten in eine Kinderwunsch-Klinik, da wird euch schon gesagt, wie es weitergeht.“
Nach einigen Wochen meldeten sich die Beiden wieder. Gute Nachrichten, Maria ist top fit, alles ist in Ordnung. Das Paar wurde nach Hause geschickt zum weiter Probieren.
Bei Maria wurde ein halbherziges Hormonbild gemacht, bei Carlos dafür eine ausführliche und teure Gen-Analyse. Bei Maria wurde auch noch eine Liste von immunologischen Untersuchungen durchgeführt, und sie bekam sogar eine “unterstützende” Immuntherapie, die immerhin ihr Immunsystem unterdrücken wird. Als diskrete Vorbereitung auf eine baldige Eizellspende?
Carlos und Maria kommen aus einem Land im Süden Europas, das traditionell eine wunderbare Stammzellenforschung betreibt und dessen Kliniken für tolle Methoden bekannt sind, welche unter freundlichsten gesetzlichen Rahmenbedingungen angewendet werden (ganz anders als in Deutschland – lesen Sie später auch hier).
Je länger ich auf diesem Gebiet arbeite, desto mehr komme ich zu der Überzeugung: Dort, wo die neueste High-Tech zur Verfügung steht, wird sie auch gern angewendet. Wie in einem Theaterstück quasi, bei dem in der ersten Szene eine Pistole zu sehen ist und Sie sich sicher sein können, dass sie später auch abgefeuert wird.
Aber was bringt die feinste High-tech, wenn sie oft und immer öfter den kommerziellen Interessen Platz machen muss?
Was bringen die besten gesetzlichen Rahmenbedingungen, wenn sich die Menschen über die ethischen und moralischen Grenzen und dem, was sie tun, nicht bewusst sind?
Wenn die Diskussion darüber nicht einmal begonnen hat?
Nicht in Spanien, nicht in den USA, nicht in England und schon gar nicht in China.
(Was die chinesischen Forscher nicht störte, ein Paar Zwillinge mit CRISPR-editierten Genen in die Welt zu setzen. Falls Sie es verpasst haben sollten, lesen Sie später hier).
Aber was bringt die feinste High-tech, wenn sie oft und immer öfter den kommerziellen Interessen Platz machen muss?
Kinderwunschkliniken im Ausland: Daten- und Business-Freaks
Neben den super High-Tech Kliniken beobachte ich manchmal auch ganz normale Chaoten (ganz klischeehaft aus Süd- und Osteuropa), sowie Daten-Fanatikern, die gern extrem viele Daten und Listen produzieren und trotzdem wichtige Informationen außer Acht lassen.
Liegt es daran, dass es immer weniger Menschen gibt, die in den Daten einen Sinn erkennen können? Mein Eindruck ist definitiv: Ja.
Die reproduktionsbiologische Landschaft ist weltweit generell sehr unausgeglichen und heterogen. Wenn Sie sich diese Landschaft jetzt wie einen Großstadtdschungel vorstellen, dann gibt es dort Kinderwunschkliniken, die ganz tolle, moderne Hochhäuser sind, aber auch einige dunkle Keller sind mit dabei.
Es gibt auch Kliniken, ganz besonders in den USA, die wirklich gnadenlos aufs Geschäfte machen setzen. Egal wie oft ich mit Frauen rede, die sich an solchen Orten behandeln lassen, spüre ich danach, wie leid sie mir tun. Manchmal denke ich sogar: “Du Arme, du hättest es in Deutschland so viel besser”. (Falls Sie Englisch lesen können, lesen Sie nachher meinen Artikel hier: Why are women advised egg donation earlier in the US than in Europe?).
Noch ein Beispiel fällt mir jetzt ein.
Künstliche Befruchtung im Ausland – wirklich besser als in Deutschland?
Vor einigen Wochen hat eine Frau namens Sheila mich kontaktiert, mit der Bitte, ihr bei einer bestimmten Entscheidung zu helfen. Sheila befand sich mitten in einer IVF und wusste nicht, ob sie eine zusätzliche Leistung ihrer Klinik, bei der für sie und ihren Mann hohe Kosten entstehen würden, buchen sollte oder nicht. Es ging um eine Methode, die in Deutschland nicht angewendet werden darf, in ausländischen Kliniken aber den Paaren fast immer angeboten wird, unabhängig davon, ob es wirklich Vorteile bringt oder nicht (es hat mit Embryoselektion zu tun, vereinfacht gesagt).
Um eine solche Frage richtig zu beantworten, braucht man nicht nur ein großes Wissen und Erfahrung in Sachen Zellbiologie, Hormone und unerfüllten Kinderwunsch, sondern noch ein paar andere Dinge obendrauf. Es ist also nichts, was Sheila spontan und allein entscheiden kann (und schon gar nicht zu dem Zeitpunkt, den ihre Klinik sich ausgesucht hat, nämlich bald, nachdem sie aus der Narkose geweckt wurde).
Jetzt fragen Sie sich sicher, warum wird Frauen wie Sheila nicht vor Ort geholfen?
Warum sind ihre Betreuer – Ärzte, Embryologen und das ganze Klinikpersonal entweder zu beschäftigt oder nicht zuständig, um ihr bei der Entscheidung zu helfen? Gleich werden Sie es verstehen.
Also, in Vorbereitung auf das Gespräch mit Sheila klicke ich mich erst einmal durch die beinahe 200-Seiten dicken Unterlagen durch. Ich merke, sie befindet sich in einem System, das von Juristen und Geschäftsleuten erschaffen wurde. Einwilligungen ohne Ende – warum muss sich die Klinik gegen Sheila so absichern?
Jedes Wort, was Sheila ausgesprochen hat, jeder Keks und jeder Schluck Wasser, den sie in der Klinik zu sich genommen hat, wurde höchst sorgfältig dokumentiert.
Jede kleinste gelbe, blaue und weiße Pipettenspitze. Jedes kleinste Schälchen oder Tröpfchen Zellmedium, das für Sheilla verbraucht wurde, hat seine eigene Dokumentation. Ich habe viele Jahre in zellbiologischen Laboren gearbeitet und ich merke: da sind nicht nur Menschen an der Arbeit. Roboter?
Und wo ist Sheila überhaupt? In einer Klinik für totale Überwachung?
Nein, Sheila ist in einer neuen Kinderwunschklinik im sonnigen Kalifornien, in der sie und ihr Mann als Selbstzahler eine zweite IVF auf Ratenzahlung machen.
Mittlerweile bin ich ans Ende von Sheilas Unterlagen gekommen und denke, ‘Mannomann, die Frau macht ihre zweite 13.000 $ IVF, ohne dass sich je einer für ihren Zyklus oder ihren Körper wirklich interessiert hätte (und für den ihres Mannes schon gar nicht)’.
Sheilas Klinik macht grundsätzlich keine IVFs. ICSI ist der Standard und sie wundert sich, dass es überhaupt anders gehen könnte.
Das ganze kostet ohnehin viel Geld, und jetzt möchte die Klinik Sheila noch weitere 3.500 $ für diverse Add-ons anhängen. Add-ons sind extra Behandlungen, die zu jeder IVF angeboten werden, an die sich die Patienten in der Hoffnung klammern, dass diese sie doch noch einen Schritt näher an ihr Wunschkind bringen.
Keine dieser Behandlungen wurde jemals seriös auf Sicherheit oder Effizienz geprüft (lesen Sie nachher: Eizellen- und Embryo Untersuchungen, was braucht man wirklich? Eine Embryologin erzählt).
Keiner weiß, ob sie kurz oder langfristig die Gesundheit der auf diese Weise entstandenen Kinder beeinflussen werden.
Weil diese Disziplin keine Zeit hat. Weil vieles aus dem Forschungslabor direkt in die kommerziellen Bahnen gelenkt wird.
Verstehen Sie jetzt, warum Sheila nicht vor Ort geholfen wird und warum sie eine unabhängige Zellbiologin, sogar in einem anderen Land aussucht, um zu fragen, was sie tun soll?
Wenn die Methoden sicher, sinnvoll und geprüft wären, könnten die Ärzte und Embryologen in Sheilas Klinik ihr auch sagen, was zu tun ist, so wie ein Chirurg Ihnen den Ablauf einer OP erklärt.
Sheilas Ärzte aber schweigen und überlassen ihr und ihrem Mann die Entscheidungen.
Das ist nicht fair, weil sie mit jahrzehntelangen Erfahrungen ausgerüstet sind, während die Paare ahnungslos und verzweifelt sind und auf die Fragen antworten sollten, für die sie nicht zuständig sind.
ADDONS BEI IVF UND ICSI, welche es gibt und was sie bringen. Bis jetzt hat keine der Methoden grünes Licht bekommen, höchstens ein gelbes. Pro und Kontra, Risiken und wissenschaftliche Evidenzlage. Von Human Fertilisation and Embryology Authority. Stand 2019.
Kinderwunschkliniken wissen dabei sehr gut, dass ihre Patienten im Großen und Ganzen an einem globalen Experiment teilnehmen.
Reproduktionsmedizin ist eine Branche, die eine explosionsartige Entwicklung erlebt hat. Leider wurden in den Anfangsstadien viele wichtige Schritte übersprungen. In einfacher Laborsprache gesagt:
Es fehlen positive und negative Kontrollen.
Wenn Frauen wie Sheila – jetzt nenne ich sie einfach “Sheilas”- zu mir finden, machen sie im gewissen Sinne genau das, was ihre Kliniken vor 40 Jahren verbockt haben.
Sie fragen nämlich eine Zellbiologin: sind diese Addons sicher und effizient? Sind sie etwas für meine Eizellen?
Um diese Fragen zu beantworten, stelle ich mein Wissen zur Verfügung: über 10 Jahre Forschung mit adulten Stammzellen – Eizellen sind ja die ultimativen Stammzellen, und 5 Jahre Erfahrung mit ebendiesen speziellen reproduktionsbiologischen Themen. Und oft reicht es nicht aus und ich muss noch zusätzlich in die Datenbanken für Fachliteratur eintauchen, um die aktuelle Faktenlage abzuklopfen. Das alles kostet Zeit. Oft erleben meine Klienten zum ersten Mal, dass jemand sich so viel Zeit für sie nimmt.
Und was kommt dabei heraus?
Überraschend oft nur ein paar einfache Worte: Lassen Sie bitte den Unsinn. Es bringt Ihnen absolut nichts. Sparen Sie lieber das Geld.
Weitere Infos:
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