Fortpflanzungsmedizingesetz: unterhaltsamer als jede Netflix-Serie
Seitdem ich die schwere Geburt von dem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz verfolge, brauche ich kein Netflix mehr. Und auch keinen “Tatort” – so fantasievoll und spannend sind die Versuche, Kinderwunschbehandlungen nach neuen gesellschaftlichen Regeln zu gestalten.
Einige wenige Gesundheitspolitiker und Minderheitsaktivisten haben sich eine Zukunft ausgedacht mit Kindern, die bis zu zwei Mütter und drei Väter haben könnten. So komplizierte genetische Abstammung und familiäre Verhältnisse hat sich noch keine Telenovela ausgedacht. Das Problem dabei: bei vielen Vorschlägen wurde nicht gecheckt, ob sie auch praktisch machbar sind und einen Sinn haben.
Ich führe Sie jetzt wie immer in wenigen einfachen Worten durch eine komplizierte Geschichte, die meiner Meinung nach keiner gebärfähigen Frau in Deutschland egal sein sollte.
Fortpflanzungsmedizingesetz: don’t know much biology…
Vor ein paar Wochen haben sich zahlreiche Vertreter der Soziologie, Theologie und Politikwissenschaft coronabedingt online getroffen, um die neue Regeln zu diskutieren, nach denen Kinderwunschbehandlungen gestaltet werden sollten. Nach Meinung dieser Experten hinkt die Reproduktionsmedizin den gesellschaftlichen Entwicklungen komplett hinterher. Die Familienkonstellationen sind in den letzten Jahrzehnten liberaler geworden und die jüngste Branche der Medizin sollte den neuen Realitäten besser und schneller angepasst werden.
Hm. Die Gesellschaft mag liberaler geworden sein, die Biologie aber nicht.
Das konnte aber niemand ansprechen, denn zu der großen Runde, die die Verschmelzung menschlicher Keimzellen und die Möglichkeiten ihrer Manipulation diskutierte, war kein einziger Biologe eingeladen worden. Kein einziger aus den über 150 IVF Laboren, die jedes Jahr das Leben von mindestens 2,7% aller in Deutschland geborenen Kinder verantworten.
Immerhin wurde ein Kinderwunscharzt kurz in die Runde geschaltet: der Leiter vom IVF-Register, Prof. Dr. med. Heribert Kentenich, hat einige wenige Minuten gesprochen – wenig für eine Veranstaltung, die über drei Stunden dauerte. Die Diskussionsrunde können Sie sich folgendermaßen vorstellen – für Sie habe ich aus diversen Screenshots der Veranstaltung ein Panel gebaut:
Trotz etwa fehlender fachlichen Kompetenz war es mit Abstand die beste Diskussion zum Embryo-Gesetz, die ich in den letzten drei Jahren erleben durfte.
Lag es daran, dass alle Teilnehmer wegen des Lockdowns geschützt und bequem aus ihren Büros berichteten?
Oder lag die lockere und zum Teil emotionale Diskussion an der hervorragenden Moderation der Wissenschaftsjournalisten Maria Grunwald?
Oder vielleicht doch an der Gewissheit, dass die Politik im Moment Wichtigeres zu tun hat und so schnell nichts entschieden werden muss?
Jedenfalls, das Thema ist komplex, da waren sich alle einig. In den Worten einer Teilnehmerin, es ist „eine höchst problematische Materie“. Deshalb wurde eine Lösung gefunden: Enquete-Kommission – die Gesundheitspolitikerinnen Kathrin Maag (Union), Sabine Dietmar (SDP), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Katrin Helling-Plahr (FDP) schlugen eine gründliche Beschaffung umfassender Informationen vor, um eine bessere Grundlage für spätere Entscheidungen zu schaffen. Also weiter recherchieren und vor allem, abwarten.
Fortpflanzungsmedizingesetz: Don’t mention the war
Falls Sie Fawlty Towers von Monty Python kennen, erinnern Sie sich vielleicht an die Episode, in der im Hotel Gäste aus Deutschland ankommen? Die Gastgeber versuchen vergeblich, die Schrecken des Zweiten Weltkriegs nicht zu erwähnen und die deutschen Touristen genauso nett zu behandeln wie alle anderen Nationalitäten auch. Das geht aber total daneben – jeder Satz verbirgt eine Unterstellung und ein Vorurteil und daraus ergibt sich unglaublich viel Komik (die lustige Folge finden Sie hier).
Ähnlich so mit dem Fortpflanzungsmedizingesetz: gern hätte man in Deutschland ein normales Embryo-Gesetz, in dem es einfach um Eizellen, Spermien und Embryonen ginge. Leider ist das wegen des Zweiten Weltkrieg nicht so einfach. Was hat aber ein Krieg mit einem IVF-Labor zu tun?
Deutschlands komplizierte Geschichte hat schon bei dem ersten Embryo-Gesetz dazu geführt, dass Ärzte in Sachen Leben der Embryonen nicht mitreden konnten. Denn wo Entstehung, da auch Vernichtung der Embryonen. Und In der Nazi-Zeit gab es, wie Sie sicherlich wissen, Ärzte, die viel Schlimmes auch kleinen Kindern angetan hatten.
Das darf nicht vergessen und schon gar nicht wiederholt werden. Deshalb wurde schon das erste Embryo-Gesetz als ein Strafgesetz ausgelegt und deshalb gucken heute noch unzählige Ethiker, Politik- und Rechtswissenschaftler den Ärzten ganz genau auf die Finger, damit diese nie wieder in Versuchung kommen, über die Würde und über das Leben der Menschen zu entscheiden und diese nach eigenen Kriterien zu selektieren.
Embryonen sind keine „Menschen in früher Lebensphase“!
Nun sind seit dem Zweiten Weltkrieg über 70 Jahre vergangen.
In der Zwischenzeit ist in der Medizin eine neue Branche entstanden – die Fortpflanzungsmedizin. Sie ist hochkomplex und erfordert Jahrzehnte lange Ausbildung und Arbeitserfahrung. Es sind genau genommen auch keine einfachen „Ärzte“, auf die man aufpassen muss. Menschen, die in einem IVF-Labor arbeiten, sind Biologen, die jahrelang nur menschliche Zellen studiert haben. Kinderwunschpraxen werden von Ärzten geleitet, die jahrelang Medizin und danach auch noch Gynäkologie und Reproduktionsmedizin studiert haben. Zusammen lassen Ärzte und Biologen unter dem Mikroskop Embryonen entstehen.
Diese Embryonen sind keine Kinder, die einen kompromisslosen Schutz von einer Armee von fachfremden Menschen brauchen – so sehr immer wieder versucht wird, Embryonen als fertige Menschen zu behandeln.
Sogar im Laufe der Leopoldina-Veranstaltung konnte man die Sätze hören wie „Embryonen sind Menschen in früher Lebensphase“. Nein, Embryonen sind keine Menschen in früher Lebensphase! Embryonen werden zu potentiellen Menschen erst, nachdem sie aus eigener Kraft eine erfolgreiche Interaktion mit ihrer Mutter schaffen, in einem „immunologischen Gespräch“, das tagelang dauert und im günstigen Fall in einer Implantation endet.
Die Gefahren liegen in der Reproduktionsmedizin nicht rechts, sondern links!
Wie die kluge Runde richtig feststellte, haben sich die Umstände verändert, in denen Kinder heutzutage leben.
Westliche Gesellschaften sind in den letzten Jahrzehnten generell moderat bis extrem nach links gerutscht, man spricht von Liberalisierung und Modernisierung. Ganz besonders davon betroffen sind Familienkonstellationen – diese sind so offen geworden, besonders in Großstädten, mit der Nebenwirkung, dass ihre Strukturen oft keine Grenzen mehr erkennen lassen und in vielen Fällen die bindungsunfähigen Individuen ins Chaos zu stürzen drohen.
Es besteht kein sozialer Druck mehr für Paare, verheiratet zu sein, um Kinder zu bekommen. Männer und Frauen können in allen Konstellationen Kinder produzieren. Das geht nicht unbemerkt und erzeugt Neid. In puncto biologische Kinder möchte nämlich niemand zurückgelassen werden. So konnte es nur ganz wenige Jahre, nachdem die technischen Möglichkeiten entstanden sind, Embryonen außerhalb des Körpers herzustellen, soweit kommen, dass auch homosexuelle Paare und alleinstehende Personen sich ihr Recht auf Kinder absichern und sogar im Gesetz verankern möchten.
Wie konnte es dazu kommen? Welche Hinweise hat man verpasst?
Wie konnte ein Gesetzesentwurf mit Vorschlag „Kinder-für-alle“ entstehen?
Wann sind die Kompetenz-Hierarchien so zerschmettert worden, dass sie die einfachsten Wahrheiten nicht mehr durchdringen lassen?
Wann sind soziologische „Studien“ entstanden, welche die Realität so sehr verbiegen, bis sie zu dem Schluss kommen, dass es den Kindern schadet, eine eigene Mutter zu haben?
Es ist also allerhöchste Zeit, einige offene und ehrliche Debatten zu führen, einige Grenzen zu setzen und diese auch zu verteidigen.
Die mit Abstand wichtigste Fragestellung in der heutigen Reproduktionsmedizin heißt: wo müssen die roten Linien gesetzt werden?
Es ist sehr wichtig, darauf bald Antworten zu finden, denn die Kinder in der Grauzone der Reproduktionsmedizin (Leihmutterschaft z.B.) werden jeden Tag in ausländischen Kliniken bestellt, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass Leid und Ungerechtigkeit nicht kleiner werden, wenn man sie außerhalb der eigenen Landesgrenzen verlagert.
Die Gefahren vom linken Reproduktionsextremismus (in den Medien oft als „reproduktive Gerechtigkeit“ dargestellt) sind keinesfalls geringer als die von rechts. (Glauben Sie mir bitte – ich komme aus Ex-Jugoslavien, einem Land, das an linken Ideologien zerbrochen ist, und über linke und rechte Extreme habe ich mir bereits schon sehr viele Gedanken gemacht).
Fortpflanzungsmedizingesetz Zusammenfassung: Hausaufgaben für die Enquette-Kommission
Nach vielen schmerzhaften Erfahrungen hat die Menschheit (hoffentlich) gelernt, wie Gefahren von rechts in puncto Lebenswürde rechtzeitig unterbunden und im Keim erstickt werden können. Die Selektion der Embryonen z.B. hinsichtlich Augenfarbe, Intelligenz usw., also die sogenannten Designerbabys, steht nirgendwo auf der Tagesordnung (und ist außerdem biologisch und genetisch nicht machbar).
Andererseits – und das ist aktuell viel wichtiger! – auf der linken Seite des reproduktionsmedizinischen Spektrums existieren gar keine Wegweiser und Grenzlinien, was geht und was nicht. Dafür ist diese Disziplin einfach zu neu und hat sich zu explosionsartig entwickelt.
Deshalb müssen klare Grenzen dringend definiert werden, bevor wir in den Machbarkeitswahn verfallen und in naher Zukunft ein Embryo-Gesetz legalisieren, für das sich zukünftige Generationen bodenlos schämen werden.
Es geht schließlich um die Entstehung der Menschen. Mit welchem Recht greifen wir in die Prozesse ein, die seit Jahrmillionen und auch ohne uns ganz gut gelaufen sind? Was, wenn wir in unseren Vermutungen und unserem Wunschdenken völlig daneben liegen?
Die Gefahren liegen in der Reproduktionsmedizin nicht rechts, sondern links! Deshalb braucht Kinderwunschmedizin dringend Benchmarks – dichte Grenzen auf der linken Seite der schon bestehenden (und in manchen wilden Ländern auch oft praktizierten) Methoden der Reproduktionsbiologie.
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Leihmutterschaft darf nicht ins Embryo-Gesetz! Nicht jetzt und nicht in der Zukunft!!
Fortpflanzungsmedizingesetz und die Legalisierung der Eizellspende: Yes or No?
Als besonders kritisch in der Diskussion erscheinen mir noch zwei folgende Punkte:
1. Die Gleichstellung der Eizellspende mit der Samenspende ist theoretisch und praktisch falsch. Während ein Mann mit einer halben Milliarde frisch produzierten Spermien in seinem Ejakulat – wenn auch nur theoretisch – in 10 bis 15 Versuchen die Erdbevölkerung verdoppeln könnte, kommt eine Frau auf die Welt mit etwa 300.000 Eizellen, die im Laufe ihres Lebens immer nur weniger und nie mehr werden. Die Eizellen liegen tief und unzugänglich in der Bauchhöhle versteckt; außerdem unterscheiden sie sich in ihrer Physiologie von Samenzellen komplett – es gibt also einfach keine Ausrede, diese zwei Prozesse zu verwechseln und gleichzustellen.
2. Die Argumentation zur Legalisierung der Eizellspende kann auch nicht auf die oft wiederholte Klage reduziert werden, dass 27 Länder in der EU die Eizellspende schon hätten.
Andere haben es, so what?
Anstatt einem abgefahrenen Zug hinterherzulaufen, ist Deutschland jetzt vielleicht in der Lage, aus einer frischen Perspektive zu schauen, ob der Zug nicht vielleicht in die falsche Richtung fährt?
Und sich erstmal zu fragen, wie oft und in wie vielen Ländern wurde die Legalisierung der Eizellspende als Sprungbrett und Abkürzung zur Leihmutterschaft missbraucht? Und wie haben es manche Länder dann doch geschafft, die rote Linie nicht zu übertreten? Die zwei eingeladenen Professorinnen aus der Schweiz und Österreich, haben bei der Veranstaltung dazu genug Hinweise gegeben, aus denen man sicherlich richtige Schlüsse ziehen kann.
Außerdem: in so vielen Ländern (z.B. in Spanien) ist die Eizellspende schon dermaßen perfektioniert worden und wird seit Jahrzehnten mit den neuesten Methoden präziser Embryo- Diagnostik kombiniert – vielleicht sollte man die Eizellspende diesen Experten einfach überlassen?
Zum Schluss noch zwei Fragen, über die sich die Enquetekommission in ihren Überlegungen zur Eizellspende machen sollte:
- Welche junge Frau würde in Deutschland ihre Eizellen spenden wollen unter Bedingungen, die der Gesetzgeber sich vorstellt – nicht anonym und diskret, sondern offen!??
- Welche Patientin würde in Deutschland eine Eizellspende durchführen lassen wollen, wenn sie im Ausland einen leichten und kostengünstigen Zugriff auf Embryo-Diagnostikmethoden hat, die unnötig schwerste Behinderungen sowie Fehlgeburten praktisch komplett ausschließen? Hier habe ich berichtet, wie eine Uni-Klinik in Spanien mehr Embryo-Diagnostik in einer Woche macht als ganz Deutschland in einem ganzen Jahr: Meine Woche bei Dexeus (einer der Top-Kinderwunschkliniken Europas)
Trotz allem scheinen mehr Faktoren FÜR als gegen eine Legalisierung der Eizellspende zu sprechen. Sobald wir sichere „Schalttasten“ eingebaut und sichergestellt haben, dass eine Eizellspende nicht als Abkürzung zur Leihmutterschaft missbraucht werden kann, wird ihre Legalisierung wenigstens dazu führen können, dass Patienten, die sie brauchen, nicht mehr stigmatisiert werden, und ruhigen Gewissens eine medizinische Behandlung durchführen können, ob in Deutschland oder im Ausland.
Und noch eine letzte Sache liegt mir auf dem Herzen, liebe Enquetekommission. Was ist mit der Stammzell-Forschung?
Zur Lage der jetzigen Kinderwunsch-Forschung in Deutschland habe ich schon geschrieben:ESHRE-Highlights: Wo steht Deutschland in Sachen Kinderwunschforschung?
Vor einigen Jahren und noch bis zum Augsburger-Entwurf vom Embryo-Gesetz war die akademische Stammzellforschung (die z.B. Spanien und England in den letzten 20 Jahren zur Weltmachten der Reproduktionsbiologie etabliert hat), als ein fester Teil vom Embryo-Gesetz geplant. Jetzt aber nicht mehr. Warum? Wie konnte es soweit kommen, dass ein neues Gesetzesentwurf nicht an die Forschung an embryonalen Stammzellen denkt, dafür aber an die Leihmutterschaft?
In den Worten meines Lieblings-Philosophen, des im letzten Jahr leider verstorbenen Roger Scruton: „Ich denke, die Zeit ist gekommen, in der wir uns fragen müssen, was uns lieb und kostbar ist, und darum sollten wir einen Zaun setzen“ (It’s time to ask ourselves what we find precious and dear, and then put a fence around it)
Meine Meinung nach sollten Eizellen, Spermien, leibliche Eltern und Kern-Familien fest und sicher geschützt werden.