Kinderwunsch-Messe und andere Katastrophen
Viel Insider-Wissen für Sie auf den Punkt gebracht
Die Plakate für die Kinderwunsch-Messe waren in diesem März in Berlin nicht zu übersehen. Infobroschüren lagen an Orten, wo junge Paare ausgehen. Man merkte, die Organisatoren meinen es ernst und haben vor, die Kinderwunsch-Messe aufzupolieren und als Hauptevent für Familienplanung zu etablieren.
Auf dem offiziellen Flyer der Messe stand: Für ALLE, die Eltern werden möchten.
Das Problem dabei: die meisten Aussteller bei der Messe präsentieren eigentlich Angebote, die sich an homosexuelle Paare und Singles richten; manchmal auch an Hetero-Paare, die auf eine Eizellspende im Ausland angewiesen sind. Also lauter Leistungen, die außerhalb der Krankenversicherung liegen (und die auf dem freien Markt das meiste Geld einbringen).
Also mache ich es mir zur Aufgabe, einen Realitätscheck durchzuführen und suche dieses Mal nach Angeboten, die sich an die”normalen” Paare richten: heterosexuelle, nicht glamouröse Menschen, die versuchen aus ihrer Liebe ein neues Leben entstehen zu lassen, aber dabei scheitern.
Zuerst gehe ich zu den Fachvorträgen.
Kinderwunsch Tage: Was gibt es für heterosexuelle Paare mit unerfülltem Kinderwunsch?
Von beinahe 60 Präsentationen, die während zweier Tage laufen, finde ich genau einen Vortrag, der sich an Anfänger richtet: “Das ABC der Kinderwunschbehandlung”. Frau Dr. Wilkening aus der Praxis für Fertilität in Berlin erzählte vom Trend der späten Familienplanung. Und auch vom häufigen Problem, dass viele Frauen, beeinflusst durch die Massenmedien, den Grenzbereich für eine Familienplanung bei 45 Jahren ziehen. Dabei sind 45 Jahre eindeutig zu spät. Das ideale Alter, vor dem jede junge Frau, die es mit der Familienplanung ernst meint, anfangen und ihr erstes Kind bekommen sollte, liegt bei 30 Jahren. Nach diesem Alter sinkt die Fruchtbarkeit der Frau zuerst langsam und irgendwann später nur noch exponentiell. Die letzten Eizellen verschwinden tatsächlich nicht linear und langsam, wie man es gern hätte, sondern eher wie ein Wasserfall.
Diese einfachen Wahrheiten erhalten wenig Aufmerksamkeit in der Kakophonie, in der junge Promoterinnen sich auf die Besucher werfen und ihnen Flyer in die Hand drücken, z.B über legale Wege, wie man in anderen Ländern eine Leihmutter findet.
Fachärzte aus spanischen Top-Kliniken lassen meist schon ihre Assistentinnen am Stand ausrichten, warum eine Eizellspende die beste Lösung ist, um zu einem Kind zu kommen, bevor Paare überhaupt zu einem persönlichem Gespräch zugelassen werden.
Ein Kinderwunscharzt aus Griechenland entschuldigt sich in seinen Vorträgen quasi dafür, dass Leihmutterschaft homosexuellen Männern in seinem Land noch nicht erlaubt ist. Das sollte sich aber bald ändern – nach seiner fachlichen Einschätzung wird schon in zwei bis drei Jahren wirklich jeder Kinderwunsch mit Geld zu lösen sein.
Noch ein Trend festigt sich auf der Kinderwunsch-Messe: Ärzte aus ausländischen Kliniken erwähnen gern, dass sie in Deutschland gearbeitet und/oder ihre Facharztprüfung bestanden haben. Das soll vermutlich ihre Autorität stärken und jede unerwünschte Kritik abwehren.
Auf meiner Suche nach Ausstellern, die Lust haben, mit “normalen”, vielleicht sogar gesetzlich krankenversicherten Menschen ins Gespräch zu kommen, betrete ich als nächstes die Insel der Klinik von Prof.Zech.
Sein Klinik-Imperium von mittlerweile 13 Kliniken, eine bekannter als die andere, wandert seit kurzem hierher nach Deutschland über; die Welle heißt “NextClinics”, und zur Klinik in Ulm ist eine zweite in Köln dazugekommen. (Lesen Sie später auch hier: IVF-Pionier Prof. Zech erzählt vom Anfang der Branche und von seiner Expansion nach Deutschland)
Auf der Insel der NextClinics fühlt es sich so an, als würden Sie mitten im Dschungel plötzlich einen aufgeräumten, gepflegten Park betreten. Alles, was Sie dort erleben, zeugt von Vernunft, Erfahrung und Kompetenz. Ich freue mich also, Prof.Zech wiederzusehen, aber noch mehr freue ich mich Frau Zech kennen zu lernen. Und auf einem Blog mit über 95% weiblicher Leserschaft brauche ich jetzt gewiss nicht zu erklären, warum.
Schon am Anfang erzählt Frau Zech, wie sie und ihr Mann schon einige IVF-Enkelkinder haben. Ich sage: „Oh, wie schön!“ – aber tatsächlich brauche ich ein paar Minuten, bis ich verstanden habe, was das bedeutet. Es bedeutet nämlich Folgendes:
Manche Paare bekommen durch künstliche Befruchtung IVF-Kinder. Manche Paare, nachdem sie lange zusammen sind, bekommen Enkel. Aber nur ganz wenige Leute auf der ganzen Welt – wie das Ehepaar Zech, die von Anfang an in der Branche mit dabei waren, erleben jetzt, wie ihre ersten IVF-Babys aus dem Labor in das Alter kommen, selbst Kinder zur Welt zu bringen – so bekommt man IVF-Enkelkinder.
Etwas gefällt mir bei NextClinics: Bei allem, was möglich ist, merkt man auch ganz deutlich, dass es auch Grenzen gibt. Denn in dieser wilden und zu schnell gewachsenen Branche, die sich weltweit jeder erdenklichen Kontrolle entzogen hat, sind Grenzen für mich persönlich zu einem wichtigen Thema geworden. Grenzen, die als eine Art Selbstdisziplin von jeder Klinik selbst gesetzt und eingehalten werden, sind noch das einzige, was in dieser Branche das Chaos von der Ordnung trennt. Deshalb fühle ich mich im Bereich der NextClinics frei, gewisse Fragen zu stellen; Gedanken auszusprechen, die ich sonst nur noch hier auf meinem Blog mich zu formulieren wage. Das tut mir gut.
Ich suche weiter. Was gibt es noch für heterosexuelle Paare mit unerfülltem Kinderwunsch?
Denn davon gibt es etwa 2,4 Millionen in Deutschland.
Und jeder dieser Menschen hat viele Fragen im Kopf; so viele, dass sie ihn nachts nicht schlafen lassen. Und jeder dieser Menschen würde gern mit einem Kinderwunscharzt sprechen, oder einen Embryologen zu sehen bekommen, der sein zukünftiges Kind vielleicht einmal mit hervorzaubern wird.
Dass das Interesse der Öffentlichkeit vorhanden ist, bestätigt auch Frau Christine Schmidt von der Organisation der Kinderwunsch-Messe:
“Der Erfolg der Messe basiert jedoch auf dem eindeutigen Wunsch und Interesse der deutschen Öffentlichkeit, eine solche Veranstaltung zu besuchen. Auch wenn der Anteil internationaler Unternehmen überwiegt, gibt es dennoch deutsche Firmen, die auf den Kinderwunsch-Tagen ausstellen.”
Deutsche Firmen? Der Veranstalter müsste doch merken, dass Vitaminhersteller, Vereine und Netzwerke – obwohl sehr wichtig, doch keine Hauptansprechpartner sind, weswegen die Besucher kommen. Deshalb frage ich mich, wer die Organisatoren sind und was sie dazu befähigt, diese sensible Veranstaltung zu begleiten? Wer verantwortet die Kinderwunsch-Messe?
Nach einer kurzen Recherche im Internet finde ich heraus, dass das einzige Kinderwunsch-Event in Deutschland von einem Anbieter aus Großbritannien betreut wird. Eine Firma, die im eigenen Land noch einige Events für Allergiker und Veganer organisiert, ist zur einzigen Dialogstimme der Kinderwunsch-Szene in ganz Deutschland geworden. Was sie dabei macht, ist einfach das Rezept von der weltbekannten “Fertility Fair”, die regelmäßig in London und Manchester stattfindet, eins zu eins nach Deutschland zu übertragen. Dabei macht die Firma vieles richtig.
Sagen Sie jetzt bitte nicht, dass Sie so viel Unternehmungsgeist nicht beeindruckt; mich beeindruckt es sehr.
Kinderwunsch-Messe: Wo liegt der Kern des Problems?
Also: Warum gibt es Automessen und auch sonst alle möglichen Messen – Esoterik, Erotik und Medien ohne Ende; warum hat jedes Mittelchen der Pharmaindustrie seine eigene Tagung oder Konferenz, aber die ganze Kinderwunsch-Szene hat keine Lust, mit Paaren mit Kinderwunsch ins Gespräch zu kommen? Der Großraum Berlin zählt etwa 20 Kinderwunschpraxen, deutschlandweit gibt es mehr als 130. Wo bleiben sie?
Warum wird so wenig Wert auf Familienplanung gelegt? Außerdem: warum gibt es in Deutschland nicht ein Event, das sich nicht ausschließlich auf die teuerste aller teuren Angebote für Selbstzahler fokussiert, sondern den Kinderwunsch in all seinen Möglichkeiten reflektiert?
Nach allem was ich in über fünf Jahren genau beobachte, liegt es nicht an den Kompetenzen der Leute, die in der Branche arbeiten. Die Gründe für eine komplette Abwesenheit der Kommunikation haben vielmehr historische Wurzeln.
Passen Sie jetzt gut auf – ich versuche Sie in einigen wenigen Minuten zum Kern eines großen Problems mitzunehmen, das viele Leute vom Fach oft nicht verstehen.
Wir schauen uns erstmal an, was in anderen Ländern bei ähnlichen Events anders gemacht wird.
Erstens, nicht nur die Angebote der Kinderwunsch-Medizin werden ausgestellt, sondern auch die natürliche Familienplanung, und sogar das Einfrieren von Eizellen wird berücksichtigt. Auch andere Angebote werden integriert – Psyche, Entspannung, Heilpraktiker, sowie Adoptionen usw. Fast immer haben solche Events zu allen aufgezählten Punkten noch die Vorträge herausragender Forscher auf dem Gebiet. Also warum nicht auch in Deutschland?
Der Haken steckt im nicht glamourösen Wort: “Forscher”.
In Deutschland gibt es nämlich seit beinahe 20 Jahren keine Forschung auf diesem Gebiet.
Die Gesetze, die die Forschung mit Stammzellen (und die Eizellen sind ja die ultimativen Stammzellen) regulieren, gehören zu den rückständigsten in ganz Europa.
Und in einer Branche, die keine eigene Forschung hat, kann man schlecht Fragen stellen oder wirklich frei miteinander reden.
Und wo es keine Fragen und keine Gespräche gibt, da gibt es keine Wahrheit, keine Offenheit und keinen Fortschritt. Und wo kein Fortschritt ist, dort herrschen Schweigen und Angst.
Embryonenschutzgesetz – Zusammenfassung
Embryo-Gesetze in Deutschland stammen aus der frühesten Steinzeit-Epoche der Reproduktionsmedizin, in der viele der heutzutage verwendeten Techniken noch nicht einmal in den Babyschuhen waren.
Seltsamerweise ist die Kinderwunsch-Medizin davon am wenigsten betroffen. In der Realität haben Ärzte bzw. Embryologen viele Wege gesucht und gefunden, um die strengen Gesetze zu umgehen und in Deutschland eine Top Kinderwunsch-Medizin anzubieten. Und das ist gut so.
Was viele Menschen leider nicht verstehen: die Embryo-Gesetze blockieren beinahe komplett die Forschung zur Regenerations- und anderen Zelltherapien (Stand 2019).
Für eine alte und immer älter werdende Gesellschaft ist das sehr, sehr schlecht.
Vor zehn Jahren, als ich selbst noch im Labor mit Stammzellen und regenerativen Therapien forschte, hätte ich diese Tatsache mit vielmehr Bitterkeit erzählt. Jetzt habe ich einen zeitlichen Abstand gewonnen und trotzdem tut es mir leid zu sehen, wie eine ganze Armee von hervorragenden Wissenschaftlern deutschlandweit an schlechten und kaum brauchbaren Modellen forscht: Zelllinien, halb-kranken Labortieren, oder adulten Stammzellen. Dabei produzieren sie meistens Daten, die nie einen theoretischen oder praktischen Wert haben werden.
Die Gesetze, die die Forschung mit embryonalen Stammzellen verbieten, betreffen erstmal die Forscher, dann alle Menschen, die in Deutschland alt werden und nur am Rande noch Frauen mit Kinderwunsch, die letztendlich nur bei skurrilen Messen wie den Kinderwunsch-Tagen einmal im Jahr merken können, dass es irgendwo einen Kurzschluss in der Branche gibt.
Darüber, wie frühere Kinderwunsch-Messen verlaufen sind, habe ich hier geschrieben:
Kinderwunsch-Tage: Wem kann da geholfen werden?
KinderwunschTage 2018: Wie viel Angst verträgt eine Kinderwunschmesse?
Nur für Spezialisten:
Die Frage, ob es nicht ein zusätzliches Event für Familienplanung geben könnte, das besser den besonderen Umständen in Deutschland angepasst wäre und bei der sich die Kinderwunsch-Kliniken dann auch lieber zeigen würden, habe ich Herrn Dr. Matthias Bloechle, dem Vorsitzenden des Berufsverbandes der Frauenärzte, gestellt. Die Essenz seiner Antwort lautet: „Ja, das hatte ich auch schon angeregt, aber keine interessierten Mitstreiter gefunden.“
Und dem Herrn Dr. Bloechle glaubt man, denn jeder weiß, dass er sonst gern streitet. Vor etwa 10 Jahren hat es Dr. Bloechle in einem außerordentlichen persönlichen, fachlichen und juristischen Aufwand geschafft, dass eine bestimmte Methode der Präimplantationsdiagnostik, die Frauen großes Leid wie Fehlgeburten und schwerstbehinderte Kinder ersparen kann, vor dem Bundesgericht anerkannt wurde.
Als nächstes fragte ich Dr. Andreas Tandler-Schneider vom deutschen IVF-Register Vorstand. Er schrieb mir Folgendes: “Meine persönliche Meinung zu dem Event ist zwiespältig. Auf der einen Seite haben die Patienten das Recht auf Information, auf der anderen Seite sind hier einige wenig seriöse Kliniken aus dem Ausland dabei. Ich würde die Messe nicht verteufeln, aber wir vom Fertility Center haben uns aber im Konsens dagegen entschieden, dabei zu sein.”
Nicht dabei zu sein ist eine verständliche Entscheidung. Trotzdem fragt man sich, was müsste passieren, um die Kinderwunsch-Szene in Deutschland aufzulockern und die betroffenen Paare mit jenen, die ihnen helfen können, besser oder überhaupt erst ins Gespräch zu bringen?
Stammzellenforschung – Es geht nicht um Embryonen, es geht um regenerative Therapien
Deutschland hat in Sachen Regenerationstherapien und Stammzellforschung schon längst den Biss verloren und spielt international fast gar keine Rolle. Der Grund, dass das nicht viel stärker auffällt, ist, dass die Forschung mit Zelltherapien auch weltweit relativ schleppend vorankommt (oder manchmal zu früh in ihrer Entwicklung kommerzialisiert wird).
Trotzdem ist der Trend sichtbar: viele wichtige Patente, Therapien und Entscheidungen liegen in den USA, Großbritannien, Spanien und anderen Ländern.
In Hinsicht auf die stark wachsende Zahl älterer Menschen ist das sicherlich keine gute Nachricht.
Und auch wenn nach außen die Stammzellforschung in Deutschland schön dargestellt wird, ist die Realität eine andere.
Vor kurzem wurde sogar ein Leibniz-Preis verliehen für Forschungen über Eizellen. Und ein ganzes Max-Planck-Institut hat geschworen, in der Zukunft kinderlosen Paaren besser helfen zu können.
Hinter dieser Fassade steht ein weiterer nackter König, der ein paar einfache Wahrheiten nicht aussprechen möchte:
1) Eizellen allein machen noch kein Kind.
2) An embryonalen Zellen wird nicht geforscht.
3) Am Max-Planck-Institut wird die Differenzierung der Eizellen untersucht; alle anderen Forschungsarbeiten werden in den Laboren der Kooperationspartner in anderen Ländern stattfinden (lesen Sie später hier: Max-Planck für Biophysikalische Chemie: Unser Labor in der Bourn Hall Clinic bei Cambridge in England).
Können Sie jetzt die Lage ein wenig besser verstehen?
Jede Gesundheitsbranche, ganz egal welche, ist ohne Grundlagenforschung nur ein an der Wurzel behandelter Zahn, der innerlich nicht mehr lebt.
Dort, wo es keine Forschung gibt, da herrscht keine Transparenz und keine Kommunikation. Und so entsteht ein guter Boden für Kinderwunsch-Messen wie die Kinderwunsch-Tage in Berlin.
Die trotzdem besser sind als nichts.
Also, warum tut Deutschland so kraftlos, wenn es um Kinderwunsch geht?
Und noch eine Frage, die mich persönlich noch mehr beschäftigt:
Warum lassen sich deutsche Frauen, die sonst so emanzipiert, klug und großartig sind, so etwas bieten?
Egal. Wir brauchen nicht alle Fragen auf einmal zu beantworten. Schon bald genug kommt die nächste Staffel von Kinderwunsch-Tagen.
Jetzt können Sie hoffentlich ein wenig besser verstehen, warum die Kinderwunsch-Szene in Deutschland wie ein zu schnell gewachsenes, pubertierendes Mädchen da steht – ein schüchternes Mädchen, das viele Veränderungen in seinem Körper spürt, dringend mit jemandem darüber sprechen möchte, aber keine passenden Worte dafür findet, weil ihr niemand in der Kindheit diese beigebracht hat. Machen Sie es bei Ihrer Tochter unbedingt anders.