Wie beeinflusst Psyche den Kinderwunsch?
Im Gespräch mit Psychiater Prof. Dr. Gerhard Gründer
Professor Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit ist wirklich kein gewöhnlicher Psychiater.
Ich höre schon, was Sie jetzt sagen werden: welcher gewöhnliche Mensch wird schon Psychiater? Und ich gebe Ihnen Recht, aber jetzt meine ich etwas anderes.
In den letzten Monaten habe ich mir oft die Vorlesungen von Prof. Gründer auf YouTube angehört. Dabei hat mich folgendes fasziniert:
An den Stellen, an denen man bei anderen Vorträgen müde wird und sich kaum noch konzentrieren kann, wird es bei Prof. Gründer plötzlich ganz spannend und er rüttelt Sie wach, indem er ein paar ganz selbstverständliche, einfache Wahrheiten sagt.
Sie klicken zurück und denken, habe ich das richtig gehört? Hat der Mann gerade die ganze Krise der Psychiatrie in drei einfachen Sätzen zusammengefasst? Dann erwähnt er noch nebenbei, dass es gut und sinnvoll ist, Babys länger als die vorgeschriebenen sechs Monate lang zu stillen, um ihnen ein Höchstmaß an Körperbindung und Sicherheit zu vermitteln, weil das für ihr späteres Leben eine ganz andere Fähigkeit gewährt, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen.
Deshalb habe ich die Gelegenheit genutzt, Prof. Gerhard Gründer beim DGPPN Kongress in Berlin zu treffen (vielen Dank an Fr. Michaelis für die Organisation) und mit ihm über Psyche und Kinderwunsch gesprochen.
Unerfüllter Kinderwunsch: nehmen Sie Ihr Leiden ernst!
Etwa jedes siebte Paar in Deutschland ist irgendwann im Laufe des Lebens von unerfülltem Kinderwunsch betroffen. Und obwohl viele Menschen leiden, ist davon im öffentlichen Raum fast nichts zu hören und der unerfüllte Kinderwunsch bleibt nach wie vor ein Tabuthema.
Selbst Menschen, die sich mit diesen Themen professionell beschäftigen, wie z.B. Ärzte, begrenzen ihre Ratschläge auf knappe Hinweise zu Entspannungsmethoden und allgemeinen Empfehlungen im Sinne “wie Sie Kindergeburtstage vermeiden” oder “Warum Sie über Ihren Kinderwunsch im Freundeskreis und auf der Arbeit lieber nicht sprechen sollten”. In den vielen Gesprächen, die ich mit unterschiedlichsten betroffenen Frauen führen durfte, ist bei mir der Eindruck entstanden: die Sache mit der Psyche ist größer als wir bisher dachten.
Erstens ist der Leidensdruck oft größer als die Paare dies zugeben wollen.
Zweitens sind psychosoziale Betreuungsangebote für ungewollt kinderlose Paare innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung schlecht bis nicht existent – das dritte Gesundheitssystem ist auf den neuen Trend der späten Mutterschaft nicht vorbereitet. Nicht einmal die größten Kinderwunsch-Kliniken beschäftigen Psychologen. Warum auch? Eine klassische Psychologin, die wenig von Biologie und/oder dem unerfüllten Kinderwunsch versteht, hätte sowieso nicht die entsprechenden Fähigkeiten, mit diesen Themen umzugehen und würde meiner Meinung nach den Betroffenen mehr schaden als nutzen.
Bei manchen Frauen beobachte ich, wie die Konfrontation mit gewissen Diagnosen, soweit man eine altersbedingte Erschöpfung der Eizellreserve als Diagnose verstehen darf, sie in Schock- und Panikzustände versetzt. Manchmal werden sie depressiv und berichten, wie ihr Leben sich in zwei Hälften teilt: die Zeit vor und nach dem ernüchternden Gespräch in der Arztpraxis.
Welche Therapien helfen bei unerfülltem Kinderwunsch?
DW: Wie ernst schätzen Sie diese Zustände ein? Wie kann diesen Frauen bzw. Paaren geholfen werden?
Prof.Gründer: Es gibt sicherlich keine Lösung, die für alle Betroffenen passt. Man muss die Probleme individuell angehen – vielleicht erst einmal sicherstellen, dass die psychischen Probleme eine Folge und keine Ursache von unerfülltem Kinderwunsch sind, selbst wenn dies nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen der Fall sein mag. Bei manchen psychischen Störungen sind Menschen nämlich weniger fähig, sich auf Beziehungen und auf Intimitäten einzulassen. Außerdem können Depressionen und Angsterkrankungen auch Störungen in der Biologie verursachen, die dazu führen, dass Menschen weniger fruchtbar sind.
Eine Depression, die Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch entwickeln, unterscheidet sich nicht von einer Depression, die aus anderen Gründen entsteht. Die Depression fühlt sich gleich an, unabhängig davon, ob sie durch einen anhaltenden unerfüllten Kinderwunsch, durch eine genetische Veranlagung oder durch andere Faktoren ausgelöst wird. Das spielt in unserem Verständnis der Psyche keine Rolle.
Und deshalb: wenn jemand einen großen Leidensdruck hat, würde ich auf jeden Fall raten, eine Behandlung zu machen. Dabei muss es nicht gleich eine pharmakologische Behandlung sein. Wenn es sich zunächst einmal um eine leichte Depression handelt, würde man erst einmal psychotherapeutisch arbeiten, auch um später bei der Schwangeren keine Überlegungen wegen der Pharmakotherapie anstellen zu müssen. Nur wenn eine Frau in ihren Zweifeln soweit kommt, eine schwere Depression zu entwickeln und nur noch Hoffnungslosigkeit empfindet, muss man klar eine Pharmakotherapie in Erwägung ziehen.
Was sicherlich nicht sinnvoll ist und für die betroffenen Paare nichts bringt, sind gutgemeinte Ratschläge wie “Das wird schon alles”, “Entspannen Sie sich – es ist alles im Kopf”, “Machen Sie mal einen Marathonlauf/fahren Sie mal in den Urlaub” usw.
Sicherlich gibt es sinnvolle Maßnahmen wie z.B. Yoga, Meditation und Entspannungsübungen sowie eine gute Ernährungsberatung, die Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch gut helfen können, aber wenn die Gedanken nur noch um den einen Punkt kreisen, dann führt wahrscheinlich kein Weg an einer psychotherapeutischen Behandlung vorbei.
DW: Welche Art von Therapeuten können da am besten helfen?
Prof. Gründer: Dazu gehört eine enge Zusammenarbeit zwischen der Psychotherapie und der Frauenheilkunde. Sie ist leider selten vorhanden, weil eine Kompetenz an den Schnittstellen besonders schwer zu finden ist. Da wären Psychotherapeutinnen, die von gynäkologischen Themen viel verstehen und den unerfüllten Kinderwunsch aus eigener Erfahrung kennen, sicherlich gute Ansprechpartnerinnen.
Welche Therapien helfen bei unerfülltem Kinderwunsch?
Therapien, um die Kontrolle über Ihr Leben zurückzugewinnen:
- Entspannungsmethoden (z.B. Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Visualisierung, Hypnose)
- Kognitive Verhaltenstherapie
- Radikale Akzeptanz: The Work of Byron Katie (anfangs gewöhnungsbedürftig, später kam ich immer wieder darauf zurück. Ein extra Tipp – hilft auch später, wenn Kinder da sind und man mit ganz anderen Sets von Problemen konfrontiert wird).
- Kognitive Umstrukturierung
- Schreibtherapie (hilft sehr gut, ich selbst bin ein großer Fan dieser Methode)
- Ärger-Management
- Selbstverbalisation
- Biofeedback
- Rollenspiel
- Kommunikationstraining
- Trauma verarbeiten: Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
Kinderwunsch – extreme Fokussierung
DW: In vielen Gesprächen mit betroffenen Frauen beobachte ich eine extreme Fokussierung, eine Art Zoom, der alles andere aus dem Blickwinkel verschwinden lässt. Als würde ein Leben, das einmal lebenswert, schön und heiter war, im Laufe der Zeit nur noch auf einen Punkt reduziert werden. Der Weltblick wird verengt, andere Möglichkeiten nicht mehr wahrgenommen. Das Leben wird zu einem Tunnel, an dessen Ende ein einziges Licht steht, in Form eines Babygesichts und einer kompletten Familie.
Diese Art der Fokussierung ist gelegentlich auch bei den Frauen zu sehen, die noch nicht so lange davon betroffen sind. Manchmal reichen einige wenige erfolglose Eisprünge aus, um von eigenen Körperfunktionen völlig in Anspruch genommen zu werden. Frauen, die auf den ersten Blick ein normales Leben zu führen scheinen, Verantwortung im Alltag tragen usw. entwickeln in ihrem Kopf eine Parallelwelt, die von Hormonwerten und Temperaturkurven beherrscht wird. Regelmäßig führe ich mit meinen Klientinnen Gespräche wie früher mit meinen Doktorandinnen– so stark ist ihr Fokus auf biologische Themen, so intensiv das Tempo, in dem die höchst speziellen physiologischen und zellbiologischen Inhalte aufgenommen werden. In solchen Momenten merkt man: der Leidensdruck ist immens. Zum Glück kann über den Schmerz in dieser Phase immer noch kommuniziert werden.
Danach folgt eine schweigsame Phase mit Hochkonzentration und viel Hoffnung – typischerweise sind die Paare dann in einer Behandlung in der Kinderwunschklinik, und da klappt es auch oft mit einem Wunschkind, ob mit Hilfe der Technologie oder doch auf natürlichem Wege. Sollte es aber nach 2-3 IVFs immer noch nicht gelingen, schwanger zu werden, brauchen die meisten Paare erst einmal eine Pause, um sich neu zu orientieren. Oft machen sie ausgedehnte Reisen ins Ausland, um zu sich selbst und der Partnerschaft wiederzufinden.
Wenn es danach immer noch nicht klappt, werden die Frauen schweigsam und nur noch schwer zu erreichen. Ab diesem Punkt sind meiner Erfahrung nach die meisten nicht von der Überzeugung abzubringen, dass sie selbst an ihrem Zustand schuld sind. Aggressionen, die eine Frau gegen sich selbst richten kann, sind brutal. Sie fragen sich, was sie falsch gemacht und welche Chancen sie verpasst haben. Manchmal klammern sie sich an absurdeste Überzeugungen was Essen, Vitamine und ihren Lebensstil generell betrifft. Fällt Ihnen da etwas an psychotherapeutischen und Selbsthilfe-Methoden ein?
Prof. Gründer: Was Sie beschreiben ist eine typische gedankliche Fixierung, so wie wir sie im Rahmen der Angststörungen, aber auch Zwangsstörungen und Depressionen kennen.
Bei Depressionen kreisen die Gedanken um die bestimmten, angstbesetzten Themen. Das kann man versuchen durch kognitive Verhaltenstherapie zu durchbrechen. Im Rahmen dieser Therapie versucht man, die Sinnhaftigkeit und Angemessenheit bestimmter Verhaltensmuster zu hinterfragen.
Kognitive Verhaltenstherapie bei unerfülltem Kinderwunsch – die Hilfe zur Selbsthilfe
Die kognitive Verhaltenstherapie ist eine problemorientierte Strategie. Es geht darum, an aktuellen Problemen zu arbeiten und Lösungen für sie zu finden. Im Gegensatz zum Beispiel zur Psychoanalyse beschäftigt sie sich wenig mit der Vergangenheit. Ziel der KVT ist vielmehr, die Probleme im Hier und Jetzt anzugehen. Also, es geht vor allem darum, aktuell belastende Denkmuster zu erkennen und zu verändern.
Zusätzlich kann man sicherlich ergänzend noch eine Ernährungs- und Lebensberatung einbinden. Aber die zentrale Behandlung wäre eine kognitive Verhaltenstherapie. Und wenn das Verhalten einen bestimmten Krankheitsgrad überschreitet, würde man eine Pharmakotherapie in Erwägung ziehen.
DW: Wer bietet kognitive Verhaltenstherapie an?
Prof. Gründer: In jeder Stadt gibt es niedergelassene Psychotherapeuten – Ärzte, psychologische Psychotherapeuten und Psychologen, die kognitive Verhaltenstherapie anbieten. Oft ist ein Therapieplatz nicht einfach zu bekommen und man muss sich auf eine gewisse Wartezeit einstellen. Aber prinzipiell ist das Angebot groß. Das Wichtigste ist, den ersten Schritt zu wagen, zu merken, dass man Hilfe braucht und sich dann einfach telefonisch bei einem Psychotherapeuten zu melden.
DW: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!
Kompetenz an den Schnittstellen ist nicht einfach zu finden. Deshalb sind Psychotherapeutinnen, die von gynäkologischen Themen viel verstehen und den unerfüllten Kinderwunsch aus eigener Erfahrung kennen, sicherlich gute Ansprechpartnerinnen in Fragen der Psyche.